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Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Titel: Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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drei, hatte er gedacht. Mittags würde Schritt vier folgen. Er selbst funktionierte am frühen Morgen ausgezeichnet und profitierte oft vom erst halbwachen, verunsicherten Zustand seines Gegenübers. Irgendwie schien es den Leuten bedrohlicher vorzukommen, wenn sie in aller Herrgottsfrühe bei der Polizei antraben mussten, als wenn sie im Laufe des Vormittags eintrudeln konnten. Aber bei Pfarrer Legler schien das nicht zu verfangen. Er erschien ausgeschlafen, leger, aber sorgfältig gekleidet, nicht im Mindesten eingeschüchtert. Geradezu entgegenkommend saß er ihm im kahlen Vernehmungszimmer gegenüber und schien sich nicht speziell unbehaglich zu fühlen.
    Streiff beschloss, ihn zu bluffen. Er traute dem Alibi, das Lena Rhyner ihrem Pfarrer gegeben hatte, noch immer nicht und hatte vor, erst einmal darauf herumzuhacken. Hatte er Erfolg, umso besser, falls nicht, würde sich Legler in Sicherheit wiegen und wäre nicht gefasst auf den zweiten Angriff.
    »Sie wissen, Herr Legler«, begann er, »dass man sich strafbar macht, wenn man jemanden dazu auffordert, eine falsche Aussage zu machen.«
    »Ich nehme es an«, sagte Legler höflich.
    »Warum haben Sie Lena Rhyner dazu angestiftet, Ihnen ein falsches Alibi zu geben?« Streiff beobachtete sein Gegenüber scharf.
    Auf Leglers Gesicht zeigten sich weder Angst noch Wut, sondern blankes Unverständnis. »Wie kommen Sie denn darauf? Das Alibi ist nicht falsch. Frau Rhyner war bei mir.«
    Streiff platzierte seinen nächsten Satz, eine glatte Lüge, sorgfältig. »Sie hat diese Aussage zurückgenommen.«
    »Was?« Leglers Überraschung schien echt. Langsam dämmerte ihm, was das bedeuten konnte. Nun wurde er wütend. »Was haben Sie mit ihr gemacht?«, rief er. »Sie haben das Kind unter Druck gesetzt, sonst hätte sie niemals …«
    »Sie ist kein Kind mehr«, unterbrach ihn Streiff, »Lena Rhyner ist eine erwachsene junge Frau.«
    »Sie war bei mir an jenem Abend«, beharrte Legler. »Wenn sie jetzt etwas anderes sagt, habe ich keine Ahnung, warum. Aber sie lügt. Lassen Sie mich mit ihr reden. Sie müssen ihr irgendetwas eingeredet haben.« Legler schwitzte, obwohl es im Raum nicht besonders warm war.
    Streiff beobachtete ihn. War das nun eher die Reaktion eines Menschen, der aufgebracht war, weil sein Schützling sich seinem Einfluss entzogen hatte, zur Wahrheit zurückgekehrt war und ihn damit im Stich gelassen hatte oder war es eher die ehrliche Verblüffung und Enttäuschung über einen unverständlichen Verrat? Streiff tippte auf die zweite Möglichkeit. Trotzdem, er wollte noch eins draufgeben.
    »Wie gesagt«, wiederholte er ungerührt, »Lena Rhyner ist eine erwachsene junge Frau. Ist sie verliebt in Sie? Wollte sie Sie deshalb schützen? Hatten Sie eine Liebesbeziehung mit Lena Rhyner?«
    Der Pfarrer schaute ihn fassungslos an. »Behauptet sie das? Es stimmt nicht.« Dann ging die Wut mit ihm durch. »Dieses pummelige Ding ist doch überhaupt nicht mein Typ. Falls sie sich etwas eingebildet hat, ist das nicht meine Schuld.« Er schwieg einen Moment. »Es kann ja sein, dass sie in mich verliebt war.« Ein Funke Eitelkeit blitzte in seinen Augen auf. »Sie können sich ja vorstellen, wie das ist.« Ach ja?, dachte Streiff. »Frauen. Sie machen sich unbegründete Hoffnungen und sind dann enttäuscht, wenn sie sich nicht erfüllen. Wollen sich rächen. Sie können die Kleine nicht ernst nehmen.«
    »Was soll ich denn jetzt nicht ernst nehmen?«, erkundigte sich Streiff. »Das Alibi oder dessen Rückzug?«
    »Hören Sie, sie war bei mir. Sie fragte mich um Rat wegen ihres Studienfachs. Ist ihr bewusst, was sie anrichtet mit der Zurücknahme ihrer Aussage? Sie setzt mich dem Verdacht aus, meine Frau umgebracht zu haben. Haben Sie das gewollt? Kommen Sie nicht voran mit Ihren Ermittlungen und brauchen einfach, koste es, was es wolle, einen Mörder?« Er ließ seine Hand auf den Tisch fallen.
    Legler war genügend verunsichert, Streiff beschloss, das Thema zu wechseln.
    »In der Nacht des zweiten Mordes waren Sie ja auf den Eggbergen«, stellte er fest. »Oder möchten Sie hier Ihre Aussage ändern?«
    Legler schüttelte den Kopf. »Wie könnte ich? Wie hätte ich denn da herunterkommen sollen? Die Nachbarn haben mich ja gesehen.«
    »Die Nachbarn haben Sie gesehen«, bestätigte Streiff. »Sie haben gesehen, dass Sie am Mittwochabend heraufgekommen sind und am Sonntagnachmittag wieder gegangen sind. Aber am fraglichen Abend hat Sie eigentlich niemand

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