Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
hässlichen Oberlippenbart. Er lugte Kim durch seine dicken Brillengläser an. Diesmal hielt er keine Pistole in der Hand.
»Ist es dasselbe Schwein?«, fragte Ebersbach leise, aber mit ungeduldiger Stimme. »Sag es mir, verdammt!«
»Es ist ein ziemlich gewöhnliches Schwein«, sagte Kroll nach einigem Zögern. »So viel ist sicher.«
Kim war überrascht, wie schlecht gelaunt die beiden waren. Eigentlich wäre doch ein wenig Dankbarkeit angezeigt. Ohne ihre und Lunkes Hilfe hätten sie Haderer wahrscheinlich nicht so schnell gefunden.
Ebersbach stöhnte auf. »Überprüf die Zäune, Kroll«, sagte er mit harter Stimme. »Du bist ab jetzt hier der Wachhund. Ich will dieses Schwein nie wieder auf der Straße sehen.«
Dann wandte er sich ab und schritt stöhnend, als würde ihn das allergrößte Mühe kosten, auf die beiden anderen Männer zu, die bisher schweigend zugesehen hatten und ihn mit einem matten Lächeln begrüßten.
9
Kim musste sich eingestehen, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Mochte sie auch noch so gerne nachdenken, so stürzten nun die Gedanken in ihrem Kopf durcheinander. Der Tag war viel zu lang gewesen. Sie war müde und durstig und verwirrt. Wahrscheinlich hätte sie nicht einmal in den Stall zurückgefunden, wenn Doktor Pik nicht an ihrer Seite gewesen wäre. Dass Kroll fluchend über die Wiese stapfte und versuchte, den Zaun, den Lunke niedergetrampelt hatte, zu reparieren, bekam sie gar nicht mehr richtig mit.
Obwohl es längst noch nicht dunkel war, legte sie sich entfernt von den anderen in die hinterste Ecke des Stalls. Das schmutzige Stroh scharrte sie beiseite. Dass sie auf dem nackten Betonboden lag, störte sie nicht. Sie registrierte nur noch, dass Doktor Pik sich neben sie legte. Im Schlaf schmiegte sie sich an ihn und genoss seine Wärme und die Sicherheit, die er ausstrahlte.
Wie gut die Dunkelheit tat, in die der Schlaf sie einhüllte. Sie träumte von der fetten Paula, ihrer Mutter, von dem wunderbaren Geruch, der von ihr ausgegangen war. So würde es nie wieder sein. Selbst im Traum spürte sie Sehnsucht und Wehmut nach den Tagen, als sie noch ein Ferkel gewesen war, das am liebsten und längsten an den Zitzen der Mutter gehangen hatte.
Schweine sind dazu da, geschlachtet zu werden. Auch das hatte ihre Mutter ihr beigebracht, um sie auf das Leben vorzubereiten. Doch das stimmte gar nicht. Kim war klug, sie konnte Wolken zählen und tote Menschen in Bäumen finden.
Dann war sie plötzlich wieder auf dem Transporter; eng zusammengedrängt, durstig, voller Angst, stand sie mit zwanzig anderen da, die genauso zitterten, vor Panik hechelten und japsten. Ich habe doch noch gar nicht gelebt. Diesen Gedanken hatte sie im Kopf gehabt. Wie konnte das sein? Jedes Wesen hatte doch das Recht auf ein Stück Leben, wie man das Recht hatte, einen Flecken Himmel zu sehen, klares Wasser zu trinken und jemanden zu finden, der einen liebte. Aber wer liebte sie? Lunke vielleicht – oder Dörthe, auch wenn es natürlich etwas anderes war, wenn ein Mensch einen liebte.
Der Unfall war immer etwas, das sie im Schlaf durchschüttelte. Kim spürte es beinahe jede Nacht. Das furchtbare Ruckeln, der Schrecken der anderen, der vielstimmige Aufschrei, dann der Sturz.
Wieder zuckte sie zusammen, und dann war sie wach, aufgetaucht aus den Tiefen des Schlafs.
Sie reckte den Kopf. Sie lag im Stall, neben ihr war Doktor Pik und schnaufte. Ein Stück entfernt schnarchte Brunst. Es war dunkel, nein, nicht ganz. Der Mond, fiel ihr ein. In den letzten Nächten war immer der volle Mond mit seinem Silberlicht da gewesen, aber das allein hätte sie nicht geweckt.
Mit einem Ruck sprang Kim auf.
Vor Glück hätte sie schreien können.
Da, die Gestalt, die mit baumelnden Beinen auf dem Gatter saß – das war eindeutig Dörthe. Sie war zurück. Ebersbach hatte den Toten im Baum gefunden, und da hatte er Dörthe zurückbringen müssen, denn sie konnte es nicht gewesen sein, die Haderer dort oben angebunden hatte. Kim war stolz auf ihre logischen Gedanken. Langsam kam sie heran und schnüffelte Dörthe zur Begrüßung ab.
»Hallo, kluge Kim«, sagte Dörthe und lächelte müde. Niemand sagte das so zärtlich wie sie.
Kim grunzte leise.
»Sie haben mich entlassen. Der Fingerabdruck war dem Richter zu wenig, jetzt, wo auch Haderer tot ist.« Dörthe klang verzagt und traurig.
Kim grunzte erneut, um anzuzeigen, dass sie das schon begriffen hatte, aber Dörthe achtete gar nicht darauf. Sie sprach weiter,
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