Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
geduldet. Selbst Dörthe hatte sich nicht oft in diesem Raum aufgehalten, auch wenn er der größte und wichtigste des Hauses war.
Mondlicht fiel durch die beiden Fenster herein. Von innen wirkte der Raum noch viel größer als von außen, wenn Kim von der Wiese hereingeschaut hatte. Es roch sonderbar, nach Farben, nach Zigarettenrauch, aber auch nach etwas anderem – nach Gedanken, vielen, bunten Gedanken, nach Freude, aber auch nach Wut und danach, dass man sterben konnte. Menschen, Schweine, Bäume – alles konnte sterben. Ja, dieser Gedanke schwebte hier herum, als hätte Munk zuletzt viel an den Tod gedacht.
Konnte man all das wirklich riechen? Kim hatte das Gefühl, dass ihr Rüssel gleich furchtbar zu schmerzen anfangen würde. Das war alles zu viel. Sie sollte besser gehen, bevor sie noch verwirrter wurde und sich Dinge einbildete, die vielleicht gar nicht existierten.
Sie ging langsam durch den Raum, sah, wie ihr der eigene Schatten folgte. Ihre Hufe kratzten über den Boden, so dass es klang, als wäre da noch jemand bei ihr. Es war sehr still, auch wenn sie von draußen Stimmen und einen anderen Wagen hörte, der mit heulendem Motor auf den Hof fuhr. Die Bilder wirkten irgendwie lebendig. An der Wand hing die rothaarige Frau, die auf einem Schwein ritt. Im Mondlicht sah es aus, als würden beide gleich anfangen zu fliegen. Das Schwein hatte lediglich noch einen Huf auf dem Boden. Daneben sah Kim ein Bild, auf dem alles auf dem Kopf stand: Grün wie die Wiese war oben, Blau wie der Himmel unten – merkwürdig und sehr verwirrend. Ein anderes Bild bestand nur aus grauen Schatten, aus denen zwei blaue Augen hervorblickten. Die Bilder, die sich aufgereiht auf dem Boden befanden, konnte sie nicht richtig sehen; da fiel das Licht des Mondes nicht hin. Auf einem glaubte sie eine Herde Schweine zu erkennen, aber diese Schweine existierten nur halb, ihre Köpfe schienen wie aus einem Nebel aufzutauchen. Noch eine rothaarige Frau gab es da, deren Kopf aus Flammen bestand, und sie hielt … Was hielt sie in der Hand umklammert? Ein Messer, eindeutig ein Messer mit einem schwarzen Griff!
Kim erstarrte. Die Gerüche im Raum wurden immer mächtiger und überwältigender. Farben wirbelten vor ihren Augen. Sie musste gehen, sofort; ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als wäre sie zehn Mal über die Wiese gelaufen, hin und zurück.
Als sie sich umwandte, hätte sie beinahe das Bild umgestoßen, das auf einem Gestell stand und das am intensivsten nach Farbe roch. Sie kniff die Augen zusammen. Eine Seite des Bildes war hell, die andere dunkel. Sie brauchte einige Zeit, um das Gesicht eines Menschen zu erkennen, nein, das waren zwei Menschen, die einen leichten grauen Bart hatten und grüne Augen. Munk hatte sich selbst gemalt, aber so, als gäbe es ihn zweimal: Sein helles Gesicht blickte sein dunkles an.
»Tut mir leid«, sagte Kim zu dem hellen Gesicht, das für sie auf einmal Munk war, »ich wollte mir nur die Bilder anschauen. Sie sind sehr schön. Ich gehe jetzt wieder und sage niemandem, dass ich hier war.«
Mit kratzenden Schritten, die sie unweigerlich verraten hätten, wäre jemand draußen im Flur gewesen, machte sie kehrt. Der Versuchung, in dem anderen Raum herumzuschnüffeln, in dem die Menschen ihr Fressen einnahmen, widerstand sie. An den Scherben der Vase vorbei ging sie durch den schmalen Korridor in den Stall, der sich hinten im Haus befand. Selbst bis hierhin drangen die Stimmen vom Hof. Die anderen hatten trotz des Lärms wieder nichts mitbekommen. Cecile lag zwischen Che und Brunst und atmete im Schlaf leise ein und aus, während die beiden großen Schweine im Wechsel heftig schnaubten. Nur Doktor Pik hatte sich zur Wand gedreht. Kim legte sich wieder neben ihn.
Wo Lunke jetzt wohl ist? fragte sie sich. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten Kaltmann und sein Gehilfe Dörthe schrecklich viel Ärger bereiten können. Es war augenscheinlich gefährlich, allein in dem Haus zu leben. Vielleicht mussten sie sich demnächst tatsächlich als Wachschweine betätigen.
Kaum hatte Kim sich wieder an Doktor Pik geschmiegt, hörte sie, wie watschelnde Schritte sich näherten. Ohne die Augen zu öffnen, erkannte sie an den unrhythmischen Bewegungen und dem Geruch, dass Ebersbach herankam. Er verharrte am Gatter. Kim glaubte zu spüren, dass sein Blick argwöhnisch auf ihr ruhte.
»Schwein«, sagte er in einem unfreundlichen Flüsterton, »ich weiß, dass du dich schlafend stellst. Aber ich werde noch
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