Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
»Nun ist unser Wunderschwein erlöst.«
Wunderschwein? Was sollte dieses Gerede nun schon wieder?
Das alles hatte mit den bitteren grünen Pflanzen zu tun, die Lunke und sie gefressen hatten – davon war Kim mehr denn je überzeugt.
Doch bevor sie noch weiter nachdenken konnte, wurde sie von der Gummimatte gehoben und an einem Halsband in einen winzigen, ebenfalls gefliesten Raum geführt, in dem es kein Fenster gab, sondern eine hässliche Neonröhre an der Decke hing, die jener in ihrem Stall glich.
Hier roch es ekelhaft nach Medikamenten und den Putzmitteln, die Dörthe manchmal im Garten anwendete, wenn sie Schuhe saubermachte. Und der intensive Geruch von furchtbarer Angst lag in der Luft. Viele Tiere waren hier schon eingesperrt gewesen, nicht nur Schweine, auch Hunde, Katzen und dann noch Tiere, die Kim im Wald gerochen hatte und gar nicht genau kannte.
Sie beschloss, sich in eine Ecke zu legen und abzuwarten. Erst als sie den Blick hob, bemerkte sie, dass sie das Wichtigste nicht gerochen hatte: Da lagen drei riesige Kohlköpfe und Kartoffeln und Möhren und Äpfel – wunderbare Leckereien, die sie gewiss der rothaarigen Frau zu verdanken hatte.
Als wüsste sie genau, dass sie nie wieder im Leben etwas zu fressen bekommen würde, sprang Kim auf die Beine und machte sich über die Sachen her. Sie konnte kaum sagen, was besser schmeckte; alles schlang sie in Rekordzeit in sich hinein, als könnte gleich Brunst auftauchen, um es ihr wegzunehmen. Es war das größte Festmahl, das jemals ein Schwein gesehen hatte – davon war sie überzeugt.
Erst als sie sich mit vollem Bauch in eine Ecke legte, kehrten wirre, bunte Gedanken in ihren Kopf zurück. Was war, wenn sie die anderen niemals wiedersehen würde? Wenn man sie nur ein letztes Mal mästen wollte, bevor man sie schlachtete? Sollte sie darauf vertrauen, dass alle rothaarigen Menschen freundlich waren und keine Schweine aßen? War das so eine Art Gesetz bei den Menschen? Blonde wie Kroll und Grauhaarige wie Ebersbach fraßen Fleisch und Rothaarige wie Dörthe und die Frau mit den Gummihandschuhen Möhren und Brot?
Kim wusste es nicht, und eigentlich wollte sie auch nicht weiter darüber nachdenken. Sie begann sich nach den anderen zu sehnen, sogar nach dem gierigen Brunst, dem sie am liebsten von diesem Festmahl vorgeschwärmt hätte, dass ihm vor Neid das Wasser aus dem Maul getropft wäre. Als sie die Augen vor Erschöpfung schloß, sah sie plötzlich Lunke vor sich. Wahrscheinlich saß er wieder in dem Feld mit den bitteren Pflanzen und schlang sie in sich hinein – und wartete auf sie. Ja, ganz sicher würde er an den Zaun kommen und schauen, wo sie blieb … Traurigkeit erfüllte sie, und sie erhob sich und schnüffelte den Türspalt ab. Nicht einmal wenn sie so kräftige Eckzähne wie Lunke gehabt hätte, wäre es ihr möglich gewesen, die Tür zu öffnen. Das Ding war aus dem gleichen kalten Blech wie der Transporter, mit dem man sie hergebracht hatte. Aber vielleicht würde man ihr öffnen, wenn sie laute Geräusche machte.
Sie versuchte es mit Grunzen und Schnauben, ohne dass sich etwas regte.
Dann begann sie zu singen – ihre Mutter hatte das manchmal am Abend getan, damit ihre acht Ferkel endlich einschliefen. Kim selbst hatte sich vor Che und den anderen stets geschämt, ihre Stimme zu einer Melodie zu erheben. Das war doch Singen, oder irrte sie sich? Die Stimme in einem bestimmten Rhythmus zu heben und zu senken.
Sie probierte es, aber irgendwie klang es selbst in ihren Ohren lächerlich und alles andere als wohltönend. Dann versuchte sie sich an das zu erinnern, was Michelfelder, der Mann auf dem Auto, in der Nacht hatte singen lassen, damit Dörthe ihm das Fenster öffnete: »Julia, ohne dich bin ich verloren, aber mit dir wie neugeboren …« Sie lächelte vor sich hin. Ja, genau diese Worte hatten über den dunklen Hof geklungen und Dörthe dazu gebracht herauszuschauen.
Kim probierte es und merkte schließlich, als sich ihre Stimme einigermaßen melodiös anhörte, dass sie etwas anderes sang: »Lunke«, sang sie mit einer solchen Eindringlichkeit und Kraft, dass es von den gefliesten Wänden widerhallte, »Lunke, ohne dich bin ich verloren, aber mit dir wie neugeboren …«
Zwischendurch, als sie einmal eine Verschnaufpause einlegte, meinte sie zu vernehmen, dass jemand heftig gegen die Tür klopfte. Gefiel den Menschen ihr Gesang? Wollte man, dass sie weitermachte? Wahrscheinlich hatte nicht einmal die rothaarige Frau
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