Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
jemals eine so schöne, ausdrucksstarke Stimme gehört, obwohl sie sich mit Schweinen auszukennen schien. Singen half jedenfalls dabei, die Traurigkeit ein wenig zu vertreiben.
Kim fühlte sich durch das Klopfen animiert, sich etwas Neues auszudenken. »Lunke«, sang sie in allen Tonlagen, die sie hervorbringen konnte, »Lunke, du bist mein liebstes Schwein, komm, hol mich hier raus und lass uns glücklich sein.«
Stolz erfüllte sie. Sie konnte sich sogar etwas Eigenes ausdenken. Wenn sie das Doktor Pik erzählen könnte, der ja früher eine Art Künstler gewesen war, dann wäre selbst er wahrscheinlich neidisch geworden.
Nachdem sie versucht hatte, den Vers so glockenhell zu singen, wie die kleine Cecile das ihrer Vorstellung nach tun würde, wurde die Tür abrupt aufgerissen. Das Gesicht der rothaarigen Frau tauchte auf. Zum ersten Mal sah sie ganz und gar nicht freundlich aus, sondern eher … wütend und gereizt.
»Werte Frau Miller«, sagte sie mit strenger Stimme und kniff die Augen hinter ihrer riesigen Brille zusammen, so dass sie plötzlich viel älter und strenger wirkte. »Ihr Schwein raubt uns den letzten Nerv. Es quiekt seit Stunden wie ein Eber bei der Kastration. Nehmen Sie es bitte mit, bevor unsere Mordlust überhandnimmt! Unsere Tests sind abgeschlossen. Den Bericht bekommt die Polizei.«
Eine abgehetzt wirkende Dörthe schob sich in die Tür. Ihr ungewohnt ängstlicher Blick traf Kim, die darauf sofort verstummte.
»Kluge Kim«, sagte Dörthe atemlos, »wenn du brav bist, fahren wir jetzt nach Hause.«
Die rothaarige Frau versteht offenbar nichts von Gesang, dachte Kim. Für einen Moment war sie beleidigt, aber dann spürte sie ein so freudiges Gefühl in sich, als hätte Lunke sie zärtlich in den Nacken gebissen. Nach Hause – zu den anderen! Hätte ihr ein größeres Glück widerfahren können!
Ohne einen Laut von sich zu geben, trottete sie mit gesenktem Kopf an einer Leine neben Dörthe her. Die Blicke der Menschen spürte sie trotzdem. Jemand lachte schallend, nachdem sie das große weiße Gebäude verlassen hatten; ein Kind zeigte mit dem Finger auf sie und schrie: »Igitt – was ist das denn für ein Tier?« Und ein Mann rief spöttisch: »He, schöne Lady, führen Sie da einen Schweinehund spazieren?«
Dörthe atmete tief ein, wie sie es manchmal tat, wenn sie etwas ärgerte, und rief: »Bei diesem Prachtexemplar handelt es sich um ein Sus scrofa domestica , aber da sage ich einem Saukerl wie Ihnen wahrscheinlich nichts Neues.«
Kim beobachtete aus den Augenwinkeln, wie der Mann weiterlief, ohne noch ein Wort zu sagen, und stieß ein dankbares Grunzen aus, das Dörthe aber nicht registrierte, weil sie sich suchend umblickte. Es war immer noch hell, der Himmel riesig und wunderbar blau. All das hatte Kim in ihrem gefliesten, fensterlosen Gefängnis nicht mitbekommen. Dörthe zerrte sie ungeduldig an vielen bunten Blechautos vorbei, die aufgereiht auf einem Platz standen, auf dem nicht ein einziger Grashalm wuchs. Sie spürte nur harten, unangenehmen Asphalt unter den Hufen.
»Wo, verdammt, habe ich nur meinen Wagen geparkt?«, murmelte Dörthe vor sich hin.
Plötzlich roch Kim Wasser und wunderbares Gras und wäre am liebsten in eine andere Richtung abgebogen, aber Dörthe zog sie unerbittlich auf eine laute Straße zu. Autos rauschten so laut vorbei, dass es in den Ohren wehtat, und ganz oben am Himmel zerteilte eine donnernde Maschine das Blau in zwei Hälften. Kim duckte sich unwillkürlich. Es gab viele Dinge, die sie noch niemals gesehen hatte, begriff sie. Dann jagte ein riesiges gelbes Ungetüm an ihr vorbei, in dem eine Menge Menschen saßen und sie anstarrten. Sie zuckte zusammen und hatte das Gefühl, dass ihr das Herz gleich in der Brust explodieren würde.
Dörthe seufzte laut auf und steuerte auf ihren gelben Wagen zu. »Endlich«, sagte sie erleichtert. »Ich hatte mich so beeilt, dass ich glatt vergessen hatte, mir zu merken, wo mein Golf steht.« Sie schaute Kim mit einem Gesichtsausdruck an, als wolle sie sich tatsächlich bei ihr entschuldigen.
Kim schenkte ihr ein besonders nachsichtiges Lächeln, das Dörthe aber vollkommen missverstand. Jedenfalls verdüsterte sich ihr Gesicht mit einem Schlag. »Ich weiß, Schweine sind nicht stubenrein, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du meine Polster schonen würdest«, sagte sie ernst.
Sie öffnete die hintere Tür und machte eine Geste, die wohl bedeutete, dass Kim auf die schmale Sitzbank springen
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