Saubande: Ein Schweinekrimi (German Edition)
Beifall spendete, sank er von seiner kurzen Rede entkräftet zusammen und legte sich wieder. Kim meinte zu erkennen, dass er ein wenig beleidigt war, weil niemand reagiert hatte, doch auch sie war zu überrascht von seinen Worten, um etwas zu sagen.
»Amen«, sagte Brunst dann unvermittelt, vielleicht war es aber auch ein Rülpser, der sich so anhörte.
Als Che sich immer noch nicht rührte, sprang Cecile auf die Beine. »Ich finde«, sagte sie und versuchte ebenfalls bedeutsam zu klingen, »jeder sollte nicht nur an sich denken, sondern auch ein bisschen an mich. Ich bin die Kleinste von uns allen, aber ich habe auch meine Rechte. So möchte ich immer die Erste am Futtertrog sein, und ich möchte einen Ausflug machen und durch den Wald laufen und Auto fahren und fliegen lernen.«
Herausfordernd blickte die Kleine in die Runde. Ihr winziger Ringelschwanz zuckte erwartungsvoll hin und her. Als niemand etwas erwiderte, scharrte sie ein wenig Stroh zusammen und legte sich ebenfalls wieder hin. Auch sie wirkte nun beleidigt.
Für eine Weile war es still. Kim suchte Ches Blick. Er hatte noch gar nichts gesagt, dabei war er es doch, der das Reden liebte und unentwegt an seinem Vermächtnis herumformulierte. Statt jedoch das Wort zu ergreifen, starrte er lediglich grimmig vor sich hin.
Allmählich wurde es dunkel im Stall. Das Sonnenlicht, das durch das kaputte Fenster und die offene Tür fiel, schwand, und der silberne Mond würde noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Schatten schwebten wie unheimliche, lautlose Vögel umher.
Kim spürte ihre Müdigkeit. Dann sah sie den furchtbaren Kroll vor sich und den toten Munk, der leise »Klee« vor sich hin geflüstert hatte, bevor er gestorben war. Oder hatte sie sich verhört, und er hatte »Kroll« gesagt? Konnte das aus dem Mund eines Menschen, dem Blut über die Lippen quoll, nicht so ähnlich klingen?
Plötzlich durchbrachen ein heftiges Schnaufen und ein schwerfälliges Scharren die Stille. Der fette Brunst hatte sich mühsam erhoben. Sein mächtiger Schatten breitete sich im Stall aus und warf einen schwarzen Fleck an die Wand.
»Ich möchte euch auch etwas sagen«, erklärte er. Seine Stimme zitterte ein wenig. Er schaute sich nach allen Seiten um, zuletzt blickte er Kim fragend an, als müsse er sich ihre Erlaubnis für seine Rede einholen. »Ich möchte sagen, dass ich meinen Vater vermisse, dass ich jeden Tag an ihn denke. Vielleicht fresse ich nur vor Kummer so viel. Einmal ist er mit mir über die Wiese gelaufen, wo ich geboren wurde, und er hat mit mir ein Loch gegraben, erst mit dem Rüssel, dann mit den Hufen, nur wir beide, ein tiefes, schwarzes Erdloch, und dann hat er mit seinen braunen Augen zum Himmel hinaufgeschaut, und im nächsten Moment hat es angefangen zu regnen, als wäre er ein Zauberer, der Regen machen könnte. Das Erdloch ist voll Wasser gelaufen, und wir haben uns hineingestürzt und haben uns gesuhlt und gegrunzt und gelacht.«
Brunst hatte immer schneller gesprochen und hielt nun abrupt inne. Kim konnte sehen, dass er seine abgenutzten, schiefen Zähne zeigte. Was war das? Ein Lächeln! Sie hatte noch nie gesehen, dass er befreit und vollkommen ehrlich lächelte.
»Das war der glücklichste Moment in meinem Leben – ich und mein großer, starker Vater. Ich weiß, dass er schon lange tot ist, aber ich hoffe, dass ich ihn irgendwann einmal wiedersehe«, setzte Brunst hinzu und stieß die Luft mit einem heftigen Schnauben aus. Erschöpft sank er zusammen und blickte unsicher in die Runde, als hätte er Angst, irgendjemand könnte ihn auslachen.
Kim nickte ihm in der Dunkelheit zu, und er erwiderte dankbar ihr Nicken. Für einen Moment glaubte sie ihn zu verstehen. Das war etwas ganz Besonderes – er hatte seinen Vater gekannt. Niemandem sonst in ihrer Gemeinschaft war das vergönnt gewesen.
Nun war eindeutig Che an der Reihe. Er schien auch unruhiger zu werden. Kim konnte ihn in der Dunkelheit kaum mehr sehen, doch sie nahm wahr, dass er sich erhoben hatte und mit den Hufen scharrte.
In Ches typisches Räuspern hinein erhob sich jedoch Ceciles piepsige Stimme.
»Ich hätte auch gerne einen Vater gehabt«, quiekte sie. »Und was passiert eigentlich, wenn man tot ist? Das habe ich schon immer wissen wollen.«
Die Stille wurde für einen Moment so tief, als wäre sie ein Loch, das alle Schweine verschlucken könnte. Niemand wagte auch nur eine Borste zu rühren.
Der Tod – das ist das Schlachthaus, dachte Kim. Ja, man musste als
Weitere Kostenlose Bücher