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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wünschen konnte – oder eben nicht.
    Er war ihm ähnlich. Er wurde ihm immer ähnlicher.
    Vielleicht war das ja nicht weiter schlimm, ihm ähnlich zu sein – schließlich bin ich nicht mein Vater, dachte Will. Irgendwo mußte die Sache mit der Erblichkeit ihre Grenzen haben. Es gab ja auch kein Mörder-Gen – noch nicht einmal ein Verbrecher-Gen.
    So hatte er es gelernt. Alles andere war Biologismus, Determinismus, Rassismus, was auch immer, jedenfalls abzulehnen. Um so mehr hatte es ihn gewundert, daß der Kollege von der Wissenschaftsredaktion bedenklich den Kopf schüttelte, als sie sich vor einigen Monaten beim Kaffee über die Entschlüsselung des Genoms unterhielten. »Ich hab’ ja früher auch geglaubt – Kultur statt Natur – und alles andere ist reaktionärer Mist«, hatte der Kollege gemurmelt. »Aber ich fürchte mittlerweile …«
    Was? Will biß in sein Quarkbrot. Daß der menschliche Wille nicht wirklich frei ist und daß auch der moderne Mensch einem urtümlichen Programm seiner Zellen folgt? Schon gut, aber was hatte das mit absonderlichen Angewohnheiten beim Zeitungslesen zu tun und mit schlechten Manieren beim Autofahren?
    Ein Räuspern ließ ihn aufblicken. Sein Vater hatte die Zeitung wieder halbwegs ordentlich zusammengefaltet und sah ihn an. »Ich weiß nicht, wie man die Geschirrspülmaschine bedient, das hat immer deine Mutter übernommen.« Der Alte zuckte mit den Schultern.
    »Ich mach das schon«, sagte Will.
    »Nein, nein«, sagte Karl. »Ich will, daß du es mir zeigst.«
    Karl Bastian lernte schnell. Er belud die Geschirrspülmaschine, nachdem Will runter in die Drogerie gelaufen und Salz und Klarspüler nachgefüllt hatte. Wie durch ein Wunder tat es das betagte Modell noch. Die Waschmaschine beherrschte Karl ohne fremde Hilfe. Er lieh seinem Sohn ein Paar Unterhosen – blütenweiße Schießer Feinripp Classic. Er wienerte das Spülbecken und polierte die Tischplatte. Er holte ein Paket Hackfleisch aus dem Tiefkühlfach und fragte ganz schüchtern, ob Will später mitessen wolle, es gäbe Spaghetti Bolognese.
    Das hast du nun davon, dachte Will. Du hast es geahnt. Du hast es gewußt. Das schlimmste am Zusammenleben mit dem Alten waren nicht dessen schlechte Laune, die alten Angewohnheiten und die Erinnerungen an eine nicht gerade glückliche Vater-Sohn-Beziehung. Das schlimmste war nicht die Gewißheit, daß Karl klapprig werden und irgendwann sterben würde, heute, morgen oder womöglich erst in einigen Jahren. Das schlimmste war nicht der Geruch in der Wohnung, dieser Altmännergeruch nach ungelüftetem Bettzeug und aufgewärmtem Essen – »Mach das Fenster zu«, hatte der Alte vorhin gerufen, als er zu lüften versuchte, »es zieht wie Hechtsuppe«.
    Das schlimmste war die Liebe. Er liebte seinen Vater – obwohl er sich nicht vorzustellen vermochte, daß es Gründe dafür geben könnte.
     
    »Du siehst schlecht aus.« Karl klang amüsiert. »Hast du nicht mal behauptet, unrasierte Männer wirkten alt?«
    Sein Vater stand vor ihm, in der Unterhose, die lange graue Hose mit der eisernen Bügelfalte über dem Arm. Will wollte nicht hinsehen, aber die Beine des Alten erschreckten ihn. Sie waren weiß, kein Wunder, wann waren sie schon mal an der Sonne? Es waren die bläulichen Knoten an den dünnen Oberschenkeln und an den Waden, die übel aussahen. War ihm bislang nicht aufgefallen. Er ließ den Blick nach oben gehen. Die weiße Schießer hing wie ein Faltenröckchen über den eingefallenen Lenden, einen Arsch hatte der Alte auch nicht mehr.
    »Noch nie einen Mann in Unterhose gesehen, oder kannst du mir mal helfen?« Karl hielt seinem Sohn die lange Hose entgegen, genauer: das linke Hosenbein. Der Saum war ausgetreten und hing hinten herab.
    »Hast du irgendwo Nadel und Faden?« Will traute sich das bißchen Nähen noch zu.
    »Brauch ich nicht. Du sollst nur halten.« Karl schob den Stoff da, wo der Saum ausgetreten war, nach innen und hielt den neuen Saum mit Daumen und Zeigefinger in Position. »Hier.«
    Will gehorchte. Obwohl: Die Hose gehörte in die Reinigung. Und in die Hände einer türkischen Änderungsschneiderei. Aber nicht in seine.
    »Leg die Hose auf den Tisch, dann komm ich besser dran.« Der Alte schob Zeitung und Kaffeetasse zur Seite. Er hielt einen Bürohefter in beiden Händen, ein großes, schweres Gerät. Und dann tackerte er den Saum fest.
    Will war sprachlos. Er sah auf und in die blitzenden Augen seines Vaters.
    »Für die Löcher in den Hosentaschen

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