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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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gab es zwar nicht, aber aus der Rechnung ging hervor, daß Karl regelmäßig eine kostenpflichtige 0190er-Nummer angerufen hatte. Telefonsex, dachte er. Bei Dolly Buster holt der Alte es sich optisch, und per Telefon läßt er es sich ins Ohr blasen. Will legte die Rechnung beiseite und atmete tief durch. Aus der Küche hörte er Geschirr klappern. Und dann drehte jemand das Radio auf, Klassikradio, und sang dazu. Sein Vater war zurückgekommen. Am liebsten wäre er rübergelaufen und hätte den alten Sack geschüttelt. Mit fast 83!
    Irgendeine Stimme der Vernunft versuchte ihm zwar einzureden, daß es nie zu spät war, ein Idiot zu sein, aber er erstickte jeden versöhnlichen Gedanken. Der Alte konnte ihn mal.
    Als der Fernseher nebenan eingeschaltet wurde, schlich Will sich in den Flur, nahm das Sakko vom Garderobenhaken und verließ die Wohnung, schon um gar nicht erst in Versuchung zu geraten, mit dem Alten bei Wein und Zigarette einträchtig auf dem Balkon zu stehen, als ob nichts gewesen wäre.
    Es war wärmer geworden. An der Ecke zur Körnerwiese strömte ihm aus einem verwilderten Vorgarten der Duft von Hyazinthen und Narzissen entgegen. Unter der Straßenlampe stand ein Pärchen und knutschte. Die Sehnsucht nach einer Umarmung überwältigte ihn plötzlich, nach warmer Haut, nach Atem auf seiner Wange. Dagegen half kein Besuch bei Dolly Buster. Dagegen half nur … Dalia Sonnenschein, dachte er und spürte, wie sich seine Gesichtszüge entspannten. Es fühlte sich fast an, als ob sein Gesicht ein Lächeln versuchte.
    In der »Casa Pintor« war noch nicht viel los. Er trank ein Glas Rioja, prostete in Gedanken Marcus und Thomas zu, versuchte Blickkontakt mit einer großbusigen Brünetten aufzunehmen, die ihre Brille am Bügel in den Ausschnitt geschoben hatte, und gab schließlich auf. Entweder war sie nicht interessiert oder zu kurzsichtig, um ihn wahrzunehmen.
    Als er nach Hause kam, war Karl schon ins Bett gegangen. Will ging allein auf den Balkon, rauchte und trank und schaute in den Nachthimmel, an dessen Saum die Türme von Maintower und Commerzbank leuchteten. Heute kam ihm der Anblick der beiden Feen herzzerreißend romantisch vor. Eine nie gekannte Sehnsucht nach Leben und Liebe trieb ihm die Tränen in die Augen. Wenn es stimmte, daß Leo Rache an den alten Freunden nahm, dann mußte er etwas unternehmen. Sterben? Noch nicht. Noch lange nicht.
    Er brachte das Weinglas in die Küche, zog das Jackett über und verließ die Wohnung.

13
    Noch gab es Licht in einigen der Büros von Justizgebäude C. Also ist es noch nicht zu spät, dachte Will. Aber er wurde langsam wieder nüchtern – und damit wuchsen die Zweifel an der plötzlichen Eingebung, nach ihr zu suchen, nach der Frau mit den Katzenaugen. Vielleicht war sie schon längst fertig mit dem Putzen. Vielleicht legte sie gar keinen Wert auf seinen Anblick – schließlich hatte er sie aus dem Zimmer eines Toten herauskommen sehen.
    Einen Moment lang fragte sich Will, ob ihre Flucht aus dem Büro von Thomas womöglich ganz andere Gründe gehabt hatte als die, die er unterstellte – nämlich Angst und der Wunsch, keinen Ärger zu kriegen. War es richtig gewesen, der Polizei nichts von ihrer Anwesenheit zu erzählen? Was, wenn sie alle auf dem falschen Dampfer waren und der Tod von Marcus und Thomas nichts, aber auch gar nichts mit Leo zu tun hatte? Vielleicht trug Thomas ja wirklich nach all den Jahren noch immer das Pentakel bei sich und hatte es in der Hand gehabt, als man ihn angriff? Als Dalia ihn angriff …
    So ein Quatsch, dachte Will. Warum sollte sie? Und außerdem war Thomas fast 1,90 groß gewesen und Dalia mindestens 30 Zentimeter kleiner.
    Er postierte sich ans Ende der Porzellanhofstraße, stellte den Kragen seines Mantels hoch und sehnte sich nach einer Zigarette. Fast hätte er sie verpaßt. Sie kam hinter einer Frau in Kopftuch und weitem schwarzen Mantel aus Gebäude C, und er sah sie erst, als sie direkt an ihm vorbeiging.
    »Dalia Sonnenschein?«
    Sie drehte sich um. Zu seiner Überraschung lächelte sie ihn an.
    Er ging neben ihr her, als ob das selbstverständlich wäre. Sie hakte sich bei ihm unter, als ob sie einander schon lange vertraut wären. Sie gingen über die östliche Zeil, auf der um diese Zeit keine Menschenseele mehr zu sehen war. Aber »McGowan’s Irish Bar« hatte noch auf. »Thurs night all pints beer only 3 Euro« stand auf einer Tafel neben der Tür. Schade, daß Freitag ist, dachte er und ertappte sich

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