Sauberer Abgang
wollen, es gehe um den Freundeskreis von Julius Wechsler. Offenbar aber handelte es sich um einen Fall, der allein Marcus Saitz und Thomas Czemowitz betraf. Was hatten die beiden getan, besser gesagt: Was machte sie zum Objekt eines Mörders? Saitz’ Geldgeschäfte? Irgendein Fall, in den Czerno verwickelt war? Sie verspürte keinerlei Erleuchtung, im Gegenteil: Ihr Interesse für den Fall war auf Normalmaß geschrumpft. Zweifellos gesünder, dachte sie und leerte das Glas. Aber schlecht für die Statistik. Und ganz und gar ungut für die Bilanz ihrer Ermittlungsarbeit.
»Komm ins Bett«, flüsterte Gunter hinter ihr. A-Hörnchen nahm unruhig Witterung auf. Aber B-Hörnchen fraß gelassen weiter.
Karen stand auf, folgte Gunter ins Schlafzimmer, ließ den Morgenmantel fallen und glitt hinüber in die Wärme seiner Umarmung.
Als der Wecker um sieben Uhr klingelte, schaltete sie ihn aus und gab sich dem Rausch hin, Gunter lange und ausgiebig zu verführen. Einige Zeit später verführte er sie. Den Rest des Tages verschliefen sie.
Es gibt ja nichts Dringliches, dachte sie. Die Arbeit kann warten.
11
Will Bastian blickte gar nichts mehr. Er stand in der Küche, starrte eine ungeöffnete Flasche Rotwein an und schüttelte benommen den Kopf. Ihm brummte der Schädel.
Eigentlich müßte er arbeiten. Eigentlich müßte er Julius und Michel anrufen und ihnen über seine Begegnung mit Jenny berichten. Eigentlich müßte er zur Polizei gehen und ihnen die beiden Amulette vorlegen, die Dalia und er bei Marcus und Thomas gefunden hatten.
Das Pentakel, das neben Max gelegen hatte, war hoffentlich von der Polizei sichergestellt worden. Er sah das Gesicht des Freundes vor sich, richtig glückselig war es ihm vorgekommen. Was hatte Max gesehen, bevor er starb?
Er mußte zur Polizei. Komm in die Pötte, Will, dachte er. Tu etwas. Unschlüssig drehte er den Schraubverschluß der Flasche auf. Andererseits: Sollte er nicht vielleicht erst die Begegnung mit Leo abwarten? Und vor allem mußte er Dalia fragen, was sie mit Jenny zu tun hatte. Er mußte sie sehen. Er würde sie gern küssen.
Will seufzte auf und goß sich ein Glas ein. Eigentlich war es zu früh für Rotwein. Aber es war schon zu spät für Vernunft.
Er mußte die Wohnungstür überhört haben, denn plötzlich stand Karl in der Tür, mit blitzenden Augen und gerötetem Gesicht. »Willi! Warum warst du nicht mit?« sagte der Alte und lispelte vernehmlich. »Die Band war gut!«
Ach ja, er hatte davon in der Zeitung gelesen. Es war wieder irgendwo ein Fest in Frankfurt.
»Keine Zeit.« Und kein Geld.
Sein Vater lachte beschwipst. »Und jede Menge schöne Frauen. Du solltest auch mal wieder …«
»Zu Dolly Buster gehen und mir Pornofilme reinziehen?«
Karl sah aus, als ob er schlagartig nüchtern geworden wäre. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe dich gesehen. Mir ist ganz schlecht geworden.« Das war kleinliche Rache seinem Vater gegenüber. Aber es tat unendlich gut.
Karl sah ihn noch immer an. Dann verzog sich sein Mund. Und schließlich fing er an zu lachen.
»Ich finde das gar nicht komisch«, sagte Will und kam sich unwürdig vor.
Karl lachte noch immer. »Du hast also wirklich gedacht …?« Er schüttelte belustigt den Kopf. »Nein, ich kann da kostenlos ins Internet. Du weißt doch – Fred arbeitet da, und deshalb …« Er hob die Hände und ließ sie wieder fallen.
Fred. Um Himmels willen. Fred war der mißratenste Schüler gewesen, den Marga je gehabt hatte. Aber ausgerechnet an ihn hatte sie ihre ganze Freundlichkeit und Güte verschwendet, an den nichtsnutzigen kleinen Dreckskerl, der heutzutage im Bahnhofsviertel seinen halblegalen Geschäften nachging.
Du machst dich lächerlich, dachte Will. Aber immerhin wußte er jetzt, wieso sein Vater so geübt mit einem PC umgehen konnte. »Und was willst du im Internet?« Er dachte nicht daran, sich seine Erleichterung anmerken zu lassen.
»Geht dich das was an, Willi?« Der Alte wurde ironisch.
»Natürlich nicht. Aber …«
»Dann frag auch nicht.«
Karl drehte sich um und schloß die Tür hinter sich. Nach einer Weile hörte Will den Fernseher, voll aufgedreht. Langsam fragte er sich, ob die kleinen Pestilenzen aus der Etage über Veras Wohnung nicht doch vorzuziehen waren. Er schob seine Lieblingsscheibe von Queen in den CD-Spieler und drehte voll auf. Aber was bei den Blagen nichts genützt hatte, half auch nicht gegen seinen Vater.
Ohne Inspiration ging er an sein Notebook.
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