Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
finde, dass deine Libido völlig okay ist.«
»Außerdem könnte es meinen Haarausfall verstärken.«
»Das ist aber gar nicht gut.«
Ich erzähle Julie, dass viele Ärzte dieser Behandlung skeptisch gegenüberstehen, weil sie noch in den Kinderschuhen steckt und die Nebenwirkungen noch nicht gründlich genug erforscht sind.
»Ich an deiner Stelle würde das Zeug nicht nehmen.«
»Ich finde, ich sollte es wenigstens mal ausprobieren.«
»Nein. Nimm’s nicht.«
Und schon hatte sie mich da, wo sie mich haben wollte: Ich legte das Thema erst einmal auf Eis. Was in gewisser Weise nur folgerichtig war, wie ich fand: Wenn es meiner eigenen Ehefrau tatsächlich gelingt, mir eine Testosterontherapie zu verbieten, muss es um meinen Testosteronspiegel wirklich schlimm bestellt sein.
Am Ende widersetzte ich mich Julie dann doch, nur um zu sehen, was in meinem Körper passiert, wenn er mehr Testosteron bekommt. Ich begann, täglich 50 Milligramm Wirkstoff in Form einer kleinen kalkweißen Tablette zu schlucken.
Vor einigen Jahren beschrieb der Blogger Andrew Sullivan in der New York Times seine Erfahrungen mit Testosteron-Injektionen, die bei ihm als Mittel gegen HIV -Symptome eingesetzt wurden. Für ihn waren die Spritzen wie ein Zauberelixier, das ihn in eine Art Nietzscheschen Übermenschen verwandelte. Seine Vitalität, sein Selbstbewusstsein und seine Libido explodierten.
Meine Wandlung verläuft wesentlich weniger spektakulär. Vergleicht man Sullivans Testosteronspritzen mit einem doppelten Espresso, dann sind meine Tabletten nicht mehr als ein schwacher Kamillentee. Vor zwei Wochen habe ich damit angefangen, und inzwischen fühle ich mich etwas vitaler, dynamischer. Im Fitness-Studio fällt mir mein Drei-Meilen-Pensum auf dem Laufband leichter. Nach dem Mittagessen werde ich nicht mehr von dem Drang überwältigt, mich ein Stündchen hinzulegen.
Und: Ja, meine Libido hat sich auch gesteigert. In mir brodeln erotische Phantasien noch weitaus heftiger als früher. Neulich wollte ich Esquire lesen – das ist schließlich Teil meiner Arbeit –, wurde aber nachhaltig abgelenkt durch ein Foto von Claudia Bassols, ihres Zeichens Model aus Barcelona. Eine überaus interessante Frau! Sie hatte eine Rolle in einem Film von Jean-Claude Van Damme! Und Jury-Mitglied in einer Kochshow war sie auch schon! Ich muss mir unbedingt ihre Website anschauen, sagte ich mir, aus rein beruflichen Gründen natürlich. Sprach’s und klickte mich zehn Minuten lang durch ihre Fotos.
Ich darf an dieser Stelle bekanntlich keine Details über unser eheliches Liebesleben preisgeben, aber eines kann ich Ihnen immerhin verraten: Wir liegen derzeit deutlich über dem japanischen Durchschnitt.
Bin ich auch aggressiver? Neulich stand ich in der U-Bahn in der Schlange vor den Monatskartenautomaten. Es gibt derer drei, aber immer nur eine Schlange, die sich gleichmäßig auf die drei Automaten verteilt. Jeder wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Alles geht sehr zivilisiert zu.
Da tauchte auf einmal ein Typ im anthrazitfarbenen Anzug auf und lief direkt zum linken Automaten, an unserer elfköpfigen Schlange vorbei.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber wir stehen hier alle Schlange. Sie müssen sich hinten anstellen.«
»Die Schlange steht doch nur an den beiden Automaten da an«, erwiderte er und deutete auf das mittlere und das rechte Gerät.
»Ach tatsächlich?«, sagte ich. »Und Sie wollen sich jetzt wirklich an diesen ganzen Leuten hier vorbeidrängeln?«
Ungerührt hackte er seinen PIN -Code ins Tastenfeld. Ich war nicht nur verärgert. Ich schäumte vor Wut. Was für ein egoistisches Arschloch.
»Mannomann, sind Sie ein Arschloch, ich kann’s echt nicht fassen. Leute wie Sie kenne ich bisher nur vom Hörensagen. Sie sind der Erste, der mir persönlich begegnet.«
Ich bin eigentlich nicht so der streitlustige Typ, und was ich da sagte, erschreckte sogar mich selbst. Die anderen Leute in der Schlange schauten mich an. In ihren Blicken entdeckte ich eine Mischung aus Dankbarkeit, peinlicher Berührtheit und Nervosität.
Der Vordrängler sagte etwas, doch ich hörte ihn nicht. Wahrscheinlich, weil das Blut in meinen Ohren rauschte. Meine Hände zitterten auch. Das kann alles nicht wirklich gut für mich sein.
Ich vermute, dass meine untypische Rage etwas mit dem Testosteron zu tun hat. Immerhin ist wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Testosteron und aggressivem Verhalten besteht.
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