Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
sitzen und mit offenem Mund staunen, wie ihre Hand sich öffnet und schließt. In der Regel sind Hirn und Herz die Körperbereiche, die allen Ruhm und alle Aufmerksamkeit ernten. Für uns sind die beiden Geschäftsführer und Präsident unseres Körpers. Und die Hände? Sind allenfalls Praktikanten.
Das sehe ich inzwischen anders. Mein Ziel ist maximale Gesundheit, da kann ich diese herrlich komplexen Gebilde aus 27 Knochen und 30 Muskeln unmöglich außer Acht lassen. Also werde ich Napiers Anregung beherzigen. Ich werde die unbeschreiblichen Fähigkeiten meiner Hände erforschen und fördern, bis sie so behände sind wie nur irgend möglich.
Ein Ziel, das von erstaunlichem Nutzen sein könnte. Richard Restak, Neurowissenschaftler an der George Washington University, schreibt in diesem Zusammenhang in seinem Buch Think Smart : »Die Hände und ihre Funktion sind enger mit dem Gehirn verknüpft als jeder andere Körperteil. Das für die Finger zuständige Hirnareal ist größer als diejenigen für Beine, Rücken, Brust und Bauch. Daher lässt sich mit Geschicklichkeitsübungen für die Finger garantiert die Gehirnleistung verbessern.«
Einem anderen Hand-Buch zufolge ( Die Hand: Geniestreich der Evolution von Frank R. Wilson) ordnen wir die Körperhierarchie schlicht falsch herum an. Das Gehirn ist nicht der König. Es ist der Handlanger der Hände. Im Zuge der Evolution haben sich zumindest Teile unseres komplexen Stirnhirns eigens für die Steuerung der Finger herausgebildet. Und der Philosoph/Motorradwerkstattbesitzer Matthew Crawford – Autor des Buches Ich schraube, also bin ich. Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen – ist gar der Überzeugung, die Entfremdung in der modernen Welt sei auf den Verlust unserer manuellen Fähigkeiten zurückzuführen. Als wir die Fähigkeit verloren, etwas aus Holz zu schnitzen und einen Lichtschalter auszutauschen, verloren wir auch unsere Identität.
Wer die gesündesten Hände auf Erden haben will, der sollte sich an Greg Irwin wenden. Er bezeichnet sich selbst als Jack LaLanne der Hände, nur ohne den Entsafter. Irwin, ein in Ohio ansässiger Musiker und Geschäftsmann, hat einen blonden Kinnbart und ein rundes, freundliches Gesicht. Er ist der Erfinder eines mörderischen Fingertrainings mit Namen »Finger Fitness«. Auf YouTube finden Sie Videos dazu. Falls Sie sie anschauen, fühlen Sie sich bitte nicht angegriffen. In einem Video warnt Irwin am Anfang: »Im Folgenden geht es nicht um Körpersprache, sondern um komplexe Bewegungsabläufe. Daher versichere ich Ihnen, dass die in diesem Video gezeigten Bewegungselemente keinerlei nonverbale Bedeutung haben.«
Und dann zeigt er Ihnen den Stinkefinger.
Dank John Napier weiß ich inzwischen, dass der Mittelfinger – oder digitus obscenus – als unanständig gilt, weil »der längste Finger am besten dazu geeignet ist, sich in intimen Körperregionen zu kratzen«.
Aber wie Irwin schon sagt: Der Stinkefinger in seinen Videos ist wirklich nicht persönlich gemeint. Er ist lediglich Teil eines Spreiz- und Strecktrainings für die Finger. Irwins Hand-Arbeit ist ein bemerkenswerter Anblick. Auf den Kamerabildern verwischen seine Finger, so atemberaubend schnell bewegen sie sich. Er kreuzt sie, paart sie, lässt sie hochschnellen, spreizt sie zum Vulkaniergruß und zum Teufelsgruß. Das reinste Fingerballett.
Ich verabrede mich mit Greg zu einer Einzelstunde Fingertraining via Skype. Schon einige Wochen zuvor hatte er mir ein Starterkit mit zwei DVD s und einem Paar silberner Qigongkugeln in Aprikosengröße geschickt. Ich wollte ja auch üben, aber dann hatte ich mit Gemüseputzen, Laufrundendrehen und Gewürzeschnuppern einfach zu viel zu tun.
»Wir fangen mit den Grundübungen an«, sagt Greg. »Beugen, kreuzen, spreizen, gegeneinanderpressen.«
Ich lege die Handflächen gegeneinander und falte die Hände Finger für Finger, immer abwechselnd mit dem rechten und dem linken Zeigefinger zuerst. Dann komme ich durcheinander. »Wie geht die Übung noch mal?«
Greg schaut mich strafend an. »Sie haben meine DVD s doch schon seit Wochen – und wissen immer noch nicht, wie beugen-kreuzen-spreizen-pressen geht?«
Verlegen stimme ich ihm zu.
»Okay« – Gregs Blick mildert sich – »vielleicht sind Sie ja nervös, weil ich Ihnen dabei zusehe.«
Stimmt auch.
Ich bewundere Gregs Handleidenschaft. Er isst mit ihnen, träumt von ihnen und sitzt sogar in ihnen – daheim im Wohnzimmer hat er vier Sessel in
Weitere Kostenlose Bücher