Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Depressionen neigen.« Die Schärfung des Geruchssinns hilft, das Gehirn gesund zu halten, erklärte sie mir. »Trainieren Sie ihn, genau wie Sie Ihre Muskeln trainieren.«
Und wie sieht ein ordentliches Geruchstraining aus?
»Greifen Sie wahllos in Ihr Gewürzregal, und versuchen Sie, den Inhalt der Dosen und Gläschen ausschließlich mit der Nase zu identifizieren.«
Das ist inzwischen mein neues Lieblingsspiel. Julie gibt mir ein Gewürzglas, und ich sitze mit geschlossenen Augen da und schnuppere intensiv daran.
Zu Anfang roch alles wie Muskatnuss.
»Muskatnuss«, sagte ich.
»Nein, Kurkuma«, sagte Julie.
»Muskatnuss«, sagte ich.
»Nein, Zitronengras«, sagte Julie.
Und so weiter. Doch inzwischen haben wir das Spiel rund 20 Mal gespielt, und ich bringe es auf eine Trefferquote von 50 Prozent.
Meine Nase macht Fortschritte. Ich werde zwar wahrscheinlich nie lernen, Androstenon zu riechen. Aber was mir so an Gerüchen in die Nase steigt, kann ich immer besser identifizieren. Einer der Monell-Forscher sagte mir in dem Zusammenhang: »Mit Ihrer Nase ist es wie mit Ihrem Auto: Auch wenn Sie noch so viel damit fahren, wird es dadurch nicht schneller. Aber Sie werden ein immer besserer Fahrer.«
Nach Einschätzung der Nobelpreisträger Richard Axel und Linda Buck kann der Mensch im Durchschnitt etwa 10 000 Gerüche wahrnehmen. Doch so ganz genau weiß das niemand. Denn im Gegensatz zum Geschmackssinn, der mit seinen fünf Grundqualitäten eine vergleichsweise simple Angelegenheit ist, ist der Geruchssinn ein komplexes System. Bisher ist es noch nicht völlig erforscht, man geht jedoch unter anderem davon aus, dass die Riechzellen in der Nase einströmenden Geruchsmolekülen spezifische räumliche Muster zuordnen.
Ganz egal, wie das Ganze nun genau funktioniert – ich nehme jedenfalls inzwischen viel mehr Gerüche bewusst wahr. Angenehme (die gebratenen Süßkartoffeln im Restaurant an der Ecke) und auch weniger angenehme (der Chlorgeruch, der durch das jüdische Gemeindezentrum wabert).
Allerdings habe ich auch festgestellt, dass leidenschaftliches Gerücheschnuppern durchaus seine Tücken hat. Als ich mich neulich mit einem Freund zum Mittagessen traf und tief die Luft einsog, schaute er mich misstrauisch an und sagte: »Du beschnüffelst mich doch nicht etwa?« Also … irgendwie schon.
Aufgabe 2: Duftentspannung
Das Riechhirn ist eingebettet in das Limbische System, einen alten Teil des Gehirns. Hier werden auch unsere Emotionen verarbeitet. Was bedeutet, dass Gerüche und Gefühle eng miteinander verknüpft sind. Gerüche können sehr starke Gefühle hervorrufen, wie jeder weiß, der die Bücher von Marcel Proust gelesen hat (oder wenigstens seinen Wikipedia-Eintrag).
Und welcher Geruch löst nun welche Emotionen aus? Das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die Leute von Monell sind der Ansicht, dass die Aromatherapie hier irrt. Aromatherapeuten geben zwar beeindruckend kategorische Statements ab, etwa: »Zitrone wirkt belebend« – die Wirkung von Gerüchen hängt jedoch im Wesentlichen von individuellen Erfahrungen ab.
»Man kann einfach nicht pauschal behaupten, dass Rosenduft entspannend wirkt«, sagte mir die Monell-Forscherin Leslie Stein. »Wenn Sie Ihre Kindheit in einem wundervollen Rosengarten verbracht haben, wird Rosenduft später bestimmt positive Gefühle in Ihnen wecken. Aber wenn Sie Rosenduft zum ersten Mal bewusst auf der Beerdigung Ihrer Großmutter wahrgenommen haben, ist mit Sicherheit das Gegenteil der Fall.«
Steins Kollegin Pamela Dalton erzählte mir, Dieselgeruch rufe Glücksgefühle in ihr hervor. Ebenso der Duft von Rosengeranien.
»Ich bin ziemlich oft auf Reisen«, sagte sie. »Und in diesen seelenlosen Hotelzimmern kann ich manchmal nur schlecht einschlafen. Deshalb habe ich immer einen vertrauten Duft dabei.« (In dem Fall ist ihr Rosengeranienöl aber dann doch lieber als ein Riechfläschchen Diesel.)
Mein bevorzugter Beruhigungsduft: Mandelöl. Vielleicht liegt’s ja an dem Marzipan, das mein Vater früher immer mit nach Hause gebracht hat. Wer weiß? Auf alle Fälle lässt Mandelduft meine nervöse Anspannung schwinden und hilft mir sogar, wenn ich leicht depressiv im Stimmungsloch festhänge.
Pamela Dalton hat mich dazu inspiriert, immer ein Fläschchen Mandelöl bei mir zu tragen. Ich verstaue es in meiner Gesäßtasche, neben der Cocktailgabel und dem Fläschchen Handdesinfektionsmittel. Und wenn ich mit der U-Bahn fahre, hole ich es heraus, öffne
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