Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
ausgerechnet das eine mit deinen Genen im Gepäck bis zur Eizelle geschafft und sie befruchtet hat. Also wirklich, das werde ich bestimmt niemals vergessen.«
Es ist schon seltsam, seinen 94-jährigen Großvater von Sperma reden zu hören. Aber mal abgesehen davon hat er natürlich völlig recht. Im Grunde ist es ein Wunder, dass wir überhaupt existieren. Eigentlich dürften wir aus dem Staunen gar nicht mehr rauskommen. So gesehen ist es dann doch nicht so abwegig, jeder Heidelbeere eine Viertelstunde ungeteilter Aufmerksamkeit zu schenken.
Check-up: Monat 1
Vor einem Monat habe ich mit Project Health begonnen. Hier ein aktueller Lagebericht: Ich habe knapp anderthalb Kilo abgenommen. Die blaue Anzeige auf meiner Digitalwaage bleibt flackernd bei 76,7 kg stehen. Julie findet, dass mein Bauchumfang nicht mehr nach viermonatiger, sondern nur noch nach dreieinhalbmonatiger Schwangerschaft aussieht. Die Achtsam-Essen-Strategie bewährt sich also, zumindest halbwegs.
Überhaupt war Achtsamkeit in diesem ersten Monat das Thema für mich. Sie hat inzwischen mein ganzes Leben durchdrungen. Dank der massenhaften Lektüre von Gesundheitsratgebern sind mir meine diversen Körperbereiche inzwischen geradezu schmerzhaft bewusst.
Wenn ich atme, stelle ich mir vor, wie sich die kleinen Bläschen in meiner Lunge mit Luft füllen. Wenn ich tippe, sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie die Beugermuskeln die Sehnen an den Fingerknochen anspannen. Wenn ich etwas esse, kann ich förmlich spüren, wie die Bauchspeicheldrüse ihr rotes, enzymgefülltes Sekret verspritzt, um damit in meinem Dünndarm das Stück Schokolade aufzulösen, das ich gerade verspeist habe.
Diese ganze Achtsamkeit ist allerdings ein äußerst zweischneidiges Schwert. Denn mit dem Bewusstsein wächst auch die Angst. Und zwar ganz gewaltig.
Mir ist nicht nur bewusster geworden, wie mein Körper funktioniert, sondern auch, was an ihm alles nicht funktionieren könnte. Seuchenschutzbehörden und Gesundheitsämter listen Hunderte schrecklicher Krankheitsbilder auf, von Aneurysma (gefährliche Arterienerweiterung) bis Zygomykose (Pilzkrankheit). Ich habe mir auf der Website der TED -Plattform den Vortrag eines Arztes angeschaut, der erklärte, dass wir aus 100 Billionen Zellen bestehen, die sich permanent erneuern – und dass schon eine kleine Panne beim Erneuerungsprozess einer einzigen Zelle Krebs verursachen kann.
Meine Mutter hatte mich ja vorgewarnt. Sie gab diese bestimmt nur halb erfundene Story zum Besten, der zufolge Medizinstudenten in Panik ausbrechen, wenn sie im ersten Jahr alles über die Diagnose der diversen Krankheitsbilder lernen. Weil die entsprechenden Therapien nämlich erst im zweiten Studienjahr auf dem Lehrplan stehen.
Auch die zahlreichen Unzulänglichkeiten meines Körpers nehme ich bewusster wahr. Die schmerzenden Lendenwirbel, das zurückgehende Zahnfleisch und die typische Haltung eines erschöpften Marathonläufers kurz vor der Zielgeraden.
Und nicht zuletzt sind mir auch die vielen, vielen Dinge bewusster geworden, die ich an meinem Leben ändern muss, um den Zustand maximaler Gesundheit zu erreichen. Die 53-seitige To-do-Liste auf meinem Schreibtisch verfolgt mich bis in meine Träume.
Nach wie vor will ich mir einen Körperteil nach dem anderen vornehmen. Doch wann immer möglich, werde ich zusätzlich Punkte auf der Liste abhaken. Und zwar ganz egal, welcher Körperteil gerade dran ist.
Letzte Woche zum Beispiel kam ich zufällig an einem Pflanzenladen vorbei. Ich ging hinein und kaufte eine Arecapalme. Eine Aktion, die auf Seite 4 meiner To-do-Liste steht, weil Arecapalmen die Raumluft verbessern sollen. Doch das von mir gekaufte Exemplar erwies sich als derart raumfüllend, dass die Jungs ihr Abendessen nur unter Palmwedeln geduckt zu sich nehmen konnten. Also schickte Julie mich zu dem Laden zurück, die Palme umtauschen. Ich erstand stattdessen fünf kleinere Pflanzen mit dem poetischen Namen »Schwiegermutterzunge«. (Der, nebenbei bemerkt, auf ihre scharfrandigen Blätter zurückzuführen ist.) Einer NASA- Studie zufolge sind auch Schwiegermutterzungen hervorragend als Raumluftfilter geeignet.
Doch auf meiner Liste stehen noch Hunderte weiterer Aufgaben. Ich muss länger schlafen. Ich muss mehr auf meine Ernährung achten und aufhören, meinen Söhnen stückchenweise ihre Pizza vom Teller zu mopsen. Und ich muss Sport treiben. Abgesehen von einem gelegentlichen 500-Meter-Lauf im Park, der mich grundsätzlich zwei
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