Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
000 Herzinfarkte mit tödlichem Ausgang auf lärminduzierte Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems zurückzuführen sind«.
Plötzlich ist in Arlines Küche ein Surren zu hören.
»Was ist das für ein Geräusch?«, frage ich.
»Das ist der Kühlschrank«, sagt sie. »Ich war total entsetzt, als ich mitbekam, dass er so einen Krach macht.«
Lärm schädigt nicht nur Ohren und Herz; er hat auch verheerende Folgen für das Gehirn.
Den weisen Gründervätern der USA war das bereits im 18. Jahrhundert bewusst. »Als sie in Philadelphia in der Independence Hall die Verfassung ausarbeiteten, merkten sie, dass der Lärm der Pferdehufe und Kutschenräder auf dem Kopfsteinpflaster ihre Konzentration störte«, erzählt Arline. »Also ließen sie das Pflaster mit Mist und Erde abdecken, um den Verkehrslärm zu dämpfen.«
Genau. Lärm ist unpatriotisch. (Und möglicherweise sogar faschistisch. Ich habe irgendwo gelesen, Hitler hätte gesagt: »Ohne Megaphon hätte ich die Deutschen nie erobert.«)
Arline Bronzaft hat als eine der Ersten wissenschaftlich nachgewiesen, dass Lärm negative Auswirkungen auf die Hirnfunktion hat. In den siebziger Jahren war sie als Verkehrsexpertin für die Stadt New York tätig und an der Linienplanung des innerstädtischen U-Bahn-Netzes beteiligt. Mit Lärmverschmutzung hatte sie eigentlich gar nichts zu tun. (Und erstaunlicherweise sagt sie von sich selbst, sie sei zunächst gar nicht so geräuschempfindlich gewesen und habe Lärm hauptsächlich als Problemfaktor des öffentlichen Gesundheitswesens wahrgenommen.)
An einer staatlichen Schule im Viertel Washington Heights in Manhattan führte sie eine wegweisende Lärmstudie durch. Einige der Klassenräume lagen direkt an der U-Bahn, die an dieser Stelle oberirdisch verlief. Alle fünf Minuten hörten die Schüler dort einen Zug vorbeirattern. Andere Klassenräume hingegen lagen geschützt vor jedem Lärm auf der anderen Seite des Gebäudes. Die Folge? In der sechsten Klasse waren die Kinder, die in den ruhigen Klassenräumen untergebracht waren, ihren Mitschülern aus den lauten Klassenzimmern im Lesen um ein Jahr voraus.
Inzwischen wurden Arlines Forschungsergebnisse von einer ganzen Reihe weiterer Studien sowohl an Kindern als auch an Erwachsenen bestätigt. Stille-Experte George Prochnik schreibt in dem Zusammenhang, selbst »ein mäßiger Geräuschpegel, wie er etwa von White-Noise-Generatoren, Klimaanlagen und nebenbei laufenden Fernsehern erzeugt wird, kann den kindlichen Spracherwerb beinträchtigen«.
Als Arline anfing, sich mit Lärmverschmutzung zu befassen, war die Lärmschutzbewegung im öffentlichen Bewusstsein auf der nach oben hin offenen Beklopptheitsskala irgendwo zwischen Bio-Lebensmitteln und Pflichtfeigenblättern für griechische Statuen angesiedelt. Inzwischen ist sie jedoch fast im Mainstream angekommen. Immer häufiger werden Nachtflugverbote erlassen, Zimmerdecken mit lärmschluckenden Materialien isoliert und lärmverursachende Produkte mit Warnhinweisen versehen. Landauf, landab protestieren Aktivisten gegen Windkraftturbinen, Motocross-Strecken und Laubbläser. »Lärm ist beileibe kein Problem, das nur Großstädte betrifft«, sagt Arline.
Inzwischen sitzen wir seit fast zwei Stunden in ihrer Küche. Sie ist zwar gegen Lärm – aber sie ist eindeutig nicht so der stille Typ. Eher das Gegenteil. Ohne Punkt und Komma erzählt sie mir von ihrem unveröffentlichten Roman Himmlische Ruhe . Darin wird eine alte Dame von ihren lauten Nachbarn ermordet.
»In der Geschichte ist alles geboten, ehrlich. Sex – sogar so viel, dass meine Tochter das Manuskript nicht zu Ende lesen wollte. Spannung auch, bei dem Thema. Und Lärm spielt natürlich auch eine große Rolle. Aber ich habe trotzdem keinen Verlag gefunden. Wahrscheinlich ist mein Stil zu akademisch. Nicht romanhaft genug.«
An dieser Stelle unterbreche ich Arline und erkläre ihr, dass ich jetzt meine Kinder von der Schule abholen muss. Ich verabschiede mich, springe in den nächsten Bus und versuche, während der Heimfahrt den Lärm der dröhnenden Motoren und quietschenden Reifen um mich herum so weit wie möglich zu ignorieren.
Der Klang der Stille
An diesem Abend beschließe ich, mein Leben leiser zu stellen. Als Erstes knöpfe ich mir das Kinderzimmer vor. Ich suche systematisch nach allen piepsenden, krächzenden oder jaulenden Elektrospielzeugen meiner Söhne und verbringe die nächste halbe Stunde damit, sämtliche Lautsprecher mit Klebeband
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