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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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Nowosibirsk schuften, und das dreiundzwanzig Stunden am Tag, von einer Aufseherin mit dem Namen Jekaterina in Jodhpurhosen und einer Armeejacke angetrieben, die in der rechten Hand eine
Peitsche und in der linken ein Elektroschockgerät hält, eskortiert von mehreren speziell auf Faulenzer abgerichteten Bulldoggen, die bei der kleinsten Kleinigkeit die Zähne fletschen und auf die ausgemergelten Arbeiter losgehen. Denken diese Vollidioten beim Radio vielleicht auch mal daran, dass es Leute gibt, die am Wochenende arbeiten müssen? Krankenschwestern zum Beispiel, Kassiererinnen oder Taxifahrer? Um die geht es natürlich nie. Hier, schon wieder: »Hey, hey, noch zwei Stunden, dann ist es sechzehn Uhr, juhu, dann ist die Woche zu Ende, und ein super Wochenende beginnt. Ich werde mal wieder lange im Garten arbeiten, das ist für mich die pure Entspannung. Und was machen Sie so am Wochenende? Rufen Sie mich an. Erzählen Sie es mir! Die Nummer ist … « Interessiert es mich, ob der Jungspund aus dem Radio am Samstag seine Buchsbäume beschneidet? Ganz sicher nicht. Mich interessiert überhaupt nicht, was andere Leute am Wochenende machen. Und ich werde immer saurer und wütender auf Annkathrin. Was bildet die sich eigentlich –
    Geistesgegenwärtig trete ich auf die Bremse, weil ein Tier auf der Fahrbahn steht. Im gleichen Augenblick fängt es an, in Strömen zu regnen, obwohl mich doch eben noch die Sonne geblendet hat. Meine Reifen quietschen auf dem nassen Asphalt, und nach etlichen Metern kommt das Taxi zum Stehen. Ich schließe schnell die Augen, weil ich auf den Knall warte, den es gibt, wenn ein LKW in einen Personenkraftwagen reindonnert, und ich warte auf den Schlag, den das Tier auf meiner Kühlerhaube verursachen wird. Ich warte drei Sekunden, vier, fünf, sechs … und nach dreißig Sekunden öffne ich die Augen wieder und bin ehrlich gesagt etwas fassungslos. Es ist nichts passiert, gar nichts. Die Autobahn ist wie leergefegt, was unmöglich sein kann, eben haben mich doch noch LKWs angehupt. Halt, ich lüge. Die Autobahn ist gar nicht leer. Das Tier befindet sich darauf, und ganz offensichtlich ist ihm nichts passiert, was ich nur schemenhaft erkennen kann, weil der Regen heftig auf die Windschutzscheibe prasselt. Neugierig beuge ich mich nach vorn und schalte die Scheibenwischer ein.
    Es ist der Wolf.
    Der Wolf von der Sababurg.
    Langsam kommt er näher. Und er macht keine Anstalten, sich umzudrehen und sich wieder von mir zu entfernen.
    Dieses Gefühl, das ich nicht deuten und mir noch weniger erklären kann, ist schlagartig wieder da, und da steht der Wolf auch schon neben dem heruntergekurbelten Fenster, und seine Augen sind noch gelber, als ich sie in Erinnerung hatte. Er ist für einen Wolf recht groß, glaube ich, seine Bewegungen sind elastisch, trotz seiner Moppeligkeit, und er wirkt lauernd, aber aus welchen Gründen auch immer nicht furchteinflößend. Er könnte ohne weiteres an der Fahrertür hochspringen und mich anfallen, fällt mir ein, aber ich komme nicht ansatzweise auf den Gedanken, das Fenster hochzukurbeln. Ich muss wahnsinnig sein, denn ich öffne jetzt sogar die Tür und steige aus, während ich ihm ununterbrochen in die Augen schaue. Der Regen wird immer stärker, und innerhalb von einigen Sekunden bin ich klatschnass. Die Autobahn ist immer noch leer, auch auf der Gegenfahrbahn, wie ich diagnostiziere. Das ist ungewöhnlich für einen Freitagnachmittag, sehr ungewöhnlich. Der Wolf ist nun ungefähr noch einen halben Meter von mir entfernt, und ich muss komplett den Verstand verloren haben, weil ich mich hinknie, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Die Musik im Autoradio wird wegen einer wichtigen Durchsage unterbrochen; erst höre ich gar nicht richtig zu, weil mich diese Wolfsaugen so faszinieren, doch dann spitze ich die Ohren: » … nach Angaben der Polizei handelt es sich um den ersten Wolf, der seit einhundertfünfzig Jahren in dieser Gegend gesichtet wurde. Die Anwohner in der Kasseler Umgebung, ganz besonders im Reinhardswald, werden um besondere Vorsicht gebeten. Nähern Sie sich dem Tier auf keinen Fall und verständigen Sie sofort die Polizei in Kassel unter … gefährlich … sehr gefährlich … Raubtier … äußerste Vorsicht … auf gar keinen Fall … Polizei … «
    Tja. Das hab ich nun davon. Der Wolf kommt näher und noch
näher, ich hocke da wie eine im Boden eingelassene Skulptur und tue nichts. Jetzt berührt die feuchte Schnauze meine Wange. Ob es weh tut,

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