Saugfest
möchte.
»Das ist meine Wohnung«, sage ich zu dem Wolf, als wir endlich oben angekommen sind, was recht problematisch war, weil er förmlich an mir klebte. Er hatte auch Angst vor dem Treppenhaus, Angst, als die Haustür zufiel, obwohl sie recht leise zugeht, er hat Angst vor Parkett und scheint auch Angst vor meinem Wohnzimmer zu haben. Dass er überhaupt die Treppe hochgekommen ist, grenzt an ein Wunder, sein Übergewicht macht ihm arg zu schaffen, und er hechelt ununterbrochen. Die Sache mit dem Wohnzimmer jedenfalls kann ich sogar verstehen. Vor meinem Wohnzimmer kann man nur Angst haben, weil es nicht eingerichtet ist. Vor zwei Jahren bin ich hier eingezogen, und weil man ja nie wissen kann, wurden weder Umzugskartons ausgepackt, noch hielt ich es für nötig, Bilder aufzuhängen, was daran liegt, dass ich keine habe. Dafür habe ich mich spontan dafür entschieden, dem Wolf einen Namen zu geben. Er hockt dumm rum und jaunert zum Gotterbarmen; ich beschließe, ihn ab sofort
den Heuler
zu nennen. Eine gute Entscheidung, denn in dem Moment des Entschlusses legt er seinen Kopf wieder in den Nacken und grölt los. Wenn das so weitergeht, werde ich bald keine Wohnung mehr haben, was dann allerdings meinen Entschluss rechtfertigen würde, die Kisten nicht auszupacken.
Warum habe ich den Heuler mitgenommen, warum? Ich verstehe
mich selbst und die Welt nicht mehr. Was will ich denn mit einem Wolf hier bei mir zu Hause und noch dazu mit einem, der ganz klar einen ziemlich tiefen Riss in der Schüssel hat? Irgendwie muss man das Tier doch beruhigen können.
»Hast du Hunger?« Nein, wenn er Hunger hätte, könnte ich diese Frage wohl nicht mehr stellen; andererseits ist der Heuler wahrscheinlich zu blöd, um mich zu fressen. Oder zu höflich, oder was weiß ich.
Es klingelt an meiner Wohnungstür. Danke, Heuler, danke. Vor mir steht ein alter Mann, der erleichtert aussieht.
»Was kann ich für Sie tun?«, frage ich, während der Heuler im Wohnzimmer durchdreht.
»Ich werde nächsten Monat einundachtzig«, sagt der Mann und wackelt mit dem Kopf.
»Ja und?« Was interessiert mich der Geburtstag dieses Mannes.
»Seit zwei Jahren warte ich auf ein Geräusch aus dieser Wohnung«, redet er weiter. »Jetzt endlich ist es so weit. Ich habe schon die Polizei informiert.«
»Warum?«
»Weil hier nie ein Ton zu hören ist aus dieser Wohnung. Immer ist alles still. Zu still. Aber die Polizei meinte, es hätte alles seine Richtigkeit. Jemand sei ordnungsgemäß hier gemeldet. Aber jetzt weiß ich, dass hier wirklich jemand wohnt. Ich sehe es ja. Ich bin übrigens Hans Richter.«
»Messmer.«
»Wie der Tee?«
»Welcher Tee?«
»Der Messmer-Tee, der gute. Man darf bestimmte Sorten nur nicht zu lange ziehen lassen, dann wird der Tee bitter und schmeckt nicht mehr so gut.«
»Von mir aus.« Die Stimme vom Heuler wird gleich kippen.
»Auf gute Nachbarschaft«, sagt der Mann. »Wenn Sie mal eine Tasse Zucker brauchen oder ein Gläschen Marmelade, können Sie jederzeit bei mir klingeln. Meine Frau hat die Marmelade immer
selbst gemacht. Und Gelee auch. Johannisbeere, Himbeere, Erdbeere, Quitte, Rhabarber, Kirsche, Aprikose, ach, alles, was das Herz begehrt. Ist das nicht schön?«
»Das ist ganz, ganz toll«, sage ich. »Aber ich brauche nie Zucker oder Marmelade.«
Meine Aussage scheint den Mann traurig zu machen. »Aber ich habe doch noch so viel Marmelade. Alleine kann ich die niemals essen. Wollen Sie nicht doch ein Gläschen?« Er kramt in seiner Jackentasche herum und drückt mir dann ein Glas Marmelade in die Hand. Jemand hat mit zitternder Hand in Sütterlinschrift
»Johannisbeergelee« draufgeschrieben.
»Das war das Lieblingsgelee meiner Frau. Haben Sie frische Brötchen im Haus?«
»Nein.«
»Weißbrot?«
»Nein.«
»Graubrot?«
»Auch nicht.«
»Ja aber … das geht doch nicht. Sie brauchen doch eine Brotsorte, um so richtig genießen zu können. Soll ich Ihnen eben ein Scheibchen Pumpernickel holen? Damit schmeckt das Gelee besonders gut. Glauben Sie mir einfach.«
»Herr Richter«, sage ich. »Wenn ich Brot im Haus haben wollte, dann hätte ich Brot im Haus. Danke für den bestimmt leckeren Brotaufstrich. Sobald ich den Wunsch verspüre, ein Scheibchen Brot damit zu essen, werde ich Brot kaufen.«
»Brauchen Sie sonst noch etwas? Ein gutes Buch vielleicht, um einsame Stunden zu bewältigen? Aber ach, ich vernehme gerade, Sie hören wohl lieber gregorianische Musik. Das beruhigt.«
Gleich wird
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