Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
Vom Netzwerk:
geht doch nicht! Ich werde das Lächeln üben, bis ich es kann, und vielleicht werde ich sogar eines Tages mal richtig lachen können, auch wenn meine Stimmbänder dann irritiert sein sollten.
    »Nun ist es so weit«, freut sich Herr Richter. »Nun ist der große Moment da.« Er ist fast aufgeregter als ich. »Jetzt machen Sie schon.«
    Ich atme dreimal tief durch, dann öffne ich die Tür zu diesem Haus, die nicht abgeschlossen ist.
    Und wir gehen langsam rein.
    Hier drin sieht es so aus, wie es halt in einem Gemeindehaus aussieht. Linoleumboden, ein paar Fotos an den Wänden, in einer Glasvitrine stehen Pokale, die Herr Richter interessiert studiert. »Der Landfrauenverein Eidengesäß hat 1998 den Streuselkuchenwettbewerb des Main-Kinzig-Kreises gewonnen«, erzählt er mir ehrfürchtig. »Und der Brieftaubenverein
Treu zur Hasselbach
aus dem Ortsteil Altenhaßlau hat schon mehrere Auszeichnungen erhalten. Diese Gemeinde scheint sich wirklich zu engagieren. Wie schön diese Pokale sind! Wie sich die Menschen, die sie gewonnen haben, wohl bei der Preisverleihung gefühlt haben?«
    Am liebsten würde ich sagen: »Herrje, nun ist es aber gut. Wir sind ja hier nicht in Los Angeles bei der Oscar-Verleihung. Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an.« Aber ich sage es natürlich nicht, weil ich Herrn Richters kindlichen Eifer auch rührend finde. Also sage ich großmütig und sehr freundlich: »Bestimmt haben sie sich sehr, sehr gut gefühlt.« Was ja mit Sicherheit auch stimmt.
    Beinahe andächtig trippelt Herr Richter weiter, begutachtet Fotos vom Anglerverein, auf denen sechs Männer, die grüne Filzhüte tragen und geschafft dreinblicken, vor einem Gewässer einen überdimensionalen Wels und auf einem anderen einen langen Hecht hochhalten und sehr stolz aussehen. Darunter hat jemand mit Filzstift »Petri Heil! Ein großer Fang anno 1974 !« geschrieben.
    Und dann sehe ich in einem anderen Schaukasten etwas ganz
Merkwürdiges. Ziemlich viele Leute, die ich kenne, also die Leute aus dem Keller, sind auf verschiedenen Fotos abgebildet, und immer sind sie verkleidet. Mal haben sie Spitzhüte auf dem Kopf, und dort trägt einer einen Lorbeerkranz. Da ist Ali mit einem Apfel auf dem Kopf. Da ist Zottel, der gerade gekreuzigt wurde und einen Schwamm in die Visage gedrückt bekommt. Und da ist Sigrun, die vor einer ruinösen Kulisse Steine schleppt. Sie hat Ruß im Gesicht und schaut leidend. Zwei der Weißhemden erkenne ich auch. Sie stehen gebückt in einem Holzkäfig und halten einer Hexe ihre Finger hin.
    Und da gibt es ein Foto, auf dem die Weißhemden wie die Weißhemden angezogen sind und alle anderen auch so aussehen, wie sie im Keller ausgesehen haben. Sie stehen dicht beieinander und halten die Daumen nach oben.
    Was ist denn hier bitte los?
    Ich beschließe, Herrn Richter unauffällig zu folgen, und achte auf eventuelle Geräusche. Alles ist ruhig. Aber dann, während wir gerade zwei Schaukästen passieren, in denen handgestrickte Stulpen und bestickte Tischdecken sowie Eierwärmer aus Patchwork ausgestellt werden, vernehme ich doch eine Stimme. Herr Richter hört sie auch. Es ist eine Frau. Es ist die Stimme von Sigrun, ich erkenne sie sofort. Dann kommt Sigrun aus einem der Räume und bleibt erschrocken stehen. Sie starrt erst mich an, dann Herrn Richter und wird leichenblass.
    Herr Richter wird ebenfalls kalkweiß und stützt sich mit der einen Hand an einem Schaukasten ab.
    Und dann ruft er: »Ännchen!«

25

     
    Wäre das jetzt ein Rosamunde-Pilcher-Film, befänden wir uns selbstverständlich nicht in einem Gemeindehaus von Linsengericht, sondern in den schottischen Highlands oder meinetwegen auch im Allgäu. Während man vor den Ruinen einer alten Kirche steht und entweder ein starker Wind weht, der Regen mit sich führt, oder aber eine Kuh wiederkäut und im Hintergrund Berge zu sehen sind, während Dudelsack oder Alpenhorn herzerweichende Klänge von sich geben, fallen sich Held und Heldin in die Arme (sie hat ein von der Arbeit wettergegerbtes Gesicht und Schwielen an den Händen, ihre Kleidung ist schäbig und abgewetzt, sie besteht aus Filz oder schwerem Leinentuch), aber ihre Augen, die leuchten, weil er sie gefunden hat. Er ist entweder gerade aus der Schlacht von Culloden zurückgekehrt, also im April 1746 , galt lange als vermisst, hat es aber geschafft, was keiner wusste, oder er ist ein reicher, irre gutaussehender und liebenswerter Arzt/Anwalt/Apotheker/Anthroposoph /Allergologe, dessen Familie

Weitere Kostenlose Bücher