Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
Vom Netzwerk:
wichtig für ihn. Über hundertfünfzig Euro hat der neue Entsafter gekostet. Nun hat er zwei Entsafter, was ihm auch nicht in den Kram passt. Er braucht ja nur einen.
    »Wollen Sie meinen alten Entsafter haben?«, will er wissen.
    Erst will ich nein sagen, überlege es mir aber dann anders. Warum nicht? Mittlerweile kann ich mir ein Leben mit Entsafter gut vorstellen. Ich könnte damit Saft selbst herstellen. Das ist ja auch der Sinn eines Entsafters. Jedenfalls sehe ich einen schön gedeckten Frühstückstisch, durchs offene Fenster scheint die Sonne, und es gibt frische Brötchen und noch frischeren Holunderbeersaft
aus meinem Entsafter. Allein die Vorstellung, zu Leuten zu sagen: »Ich habe einen Entsafter« und ihre ungläubigen und verstörten Blicke zu sehen, weil sie so etwas von mir nicht gewohnt sind, hätte was.
    Ich muss unverzüglich damit aufhören, mir diese blöden Kopfbilder zu machen, die nur dadurch entstanden sind, dass Hubertus mich geküsst hat. Eigentlich will ich auch gar keinen Entsafter mehr. Aber es ist zu spät. Herr Richter freut sich nämlich total, dass ich seinen Entsafter nehme, so wird er ja noch gebraucht und steht nicht nutzlos in der Ecke herum, und wenn Herr Richter ihm mal Hallo sagen will, muss er nur bei mir klingeln.
    Wenn ich jetzt noch ein Mal das Wort Entsafter höre, gibt es Tote.
    Um Herrn Richters Geschichten zu entgehen, schalte ich das Autoradio ein, aber das interessiert Herrn Richter nicht, er redet einfach lauter und übertönt alles.
    Wir kommen erstaunlich gut voran, ich muss nur einmal tanken, und das bezahlt Herr Richter, weil er sich einbringen will und meint, wenn er mit dem Zug fahren müsste, würde das ja auch Geld kosten. Und tatsächlich sehen wir knapp vier Stunden später das Ortsschild von Linsengericht. Herr Richter behauptet, schon mal hier gewesen zu sein, er weiß aber nicht mehr, wann und warum. Wenn er es wüsste, da bin ich mir sicher, gäbe es auch zu Linsengericht eine unfassbare Geschichte. Vielleicht eine, in der plötzlich ein einzelner Schuh auf der Straße lag und Herr Richter sich heute noch fragt, wo das passende Gegenstück damals wohl war.
    Ich fahre zu der Straße, in der Ali wohnt und bin nicht sonderlich überrascht, dass vor dem schmucken Häuschen im Vorgarten ein kleiner Teich angelegt wurde, in dem sich mit Sicherheit Forellen tummeln. Überhaupt scheint das ganze Haus aus Fischen zu bestehen. In der Eingangstür aus Holz befinden sich Forellen-Intarsien, der Knauf ist ein Fischkopf, ich tippe auf Dorade, die Vorhänge sind mit Fischen bedruckt, und die Hausfassade ziert eine
Art Rauputz, in die Delphine gesandstrahlt wurden, obwohl das ja eigentlich Säugetiere sind.
    Mit Herzklopfen drücke ich den Klingelknopf (Fischauge). Alis Mutter, die gar nicht während der Französischen Revolution verloren gegangen ist, öffnet mir, und tatsächlich trägt sie eine mit Sardinen bedruckte Schürze.
    Zwei Minuten später weiß ich, dass der mittlerweile heimgekehrte Ali, also Klaus, mit den anderen zur Besprechung in den Ortsteil Eidengesäß gefahren ist, dort befindet sich nämlich das Gemeindehaus. Was sie da machen, weiß die Mutter auch nicht. Aber zum Essen würde Klaus nach Hause kommen, heute gibt es Fischauflauf. Ob ich wüsste, dass Klaus Forellen total mag?
     
    »Ich traue mich nicht«, sage ich zu Herrn Richter. Wir stehen vor dem Flachbau, in dem sich der Gemeindesaal und Ali mit den anderen befinden soll. Wer die anderen sind, weiß ich noch nicht, das wird sich aber gleich ändern. Und überhaupt, wie viele von den anderen sind wohl hier? Alle aus dem Keller? Und was bitte gibt es zu besprechen, und warum kann man das nicht zu Hause erledigen? Wozu muss man dafür in einen blöden Gemeindesaal fahren?
    Dazu kommt, dass ich gar nicht weiß, was ich wem überhaupt sagen, womit ich überhaupt anfangen soll. Was ist, wenn alle so sauer sind, dass sie eine Entschuldigung und das Versprechen, dass ich ab heute anders bin, nicht akzeptieren und annehmen? Und das Wichtigste von allem: Was ist, wenn Hubertus nicht da ist? Das wäre entsetzlich.
    Bitte, bitte, es soll alles gut werden.
    Ich möchte nicht so enden wie Herr Richter. Mit einem Nymphensittich als einziger Bezugsperson. Ich will nicht dasitzen und mein Leben lang Briefe an jemanden schreiben, der mich verlassen hat, weil ich so bin, wie ich bin. Und ich will es nicht zu spät merken.
    Man muss sich das mal vorstellen: Ich habe beim Lächeln körperliche
Schmerzen. Das

Weitere Kostenlose Bücher