Saugfest
ich nicht. Das fällt unter den Datenschutz.«
»Hören Sie«, sage ich. »Der Mann ist krank. Und nur ich kann ihm helfen. Er hat sich bei einer gemeinnützigen Gesellschaft eintragen lassen, die passende Nierenspender sucht. Jetzt stellen Sie sich vor, was passiert ist. Dieser Herr da … «, in der Aufregung deute ich auf den Heuler, der mit Herrn Richter und mir das Geschäft betreten hat und ängstlich auf die Fische in den Aquarien glotzt, »hat zufälligerweise die passende Niere. Jetzt gilt es, den Kranken zu finden!«
»Er ist nierenkrank und geht zum Angeln? Das ist doch total gefährlich! Mein Onkel hatte … «
»Jede Minute zählt«, rufe ich. »Der Spender hat vielleicht nicht mehr lange zu leben.«
Herr Richter nickt geistesgegenwärtig und schaut schmerzverzerrt. Er sagt: »Bevor ich sterbe, möchte ich, dass jemand mit meinen Organen ein glückliches Leben führt.«
Ali heißt nicht Ali, das weiß ich ja schon, aber dass er einen derart profanen Namen wie Klaus Müller hat, hätte ich nun nicht gedacht. Der Chef des Angelgeschäfts hilft uns, die Adresse herauszubekommen, weil er auch jemanden kennt, der jemanden kennt, der von jemanden gehört hat, der irgendein Problem mit den Nieren hatte. Jedenfalls wohnt Ali in Linsengericht. Ich hatte vor Urzeiten mal Fahrgäste aus Linsengericht, sonst würde ich nicht glauben, dass es diesen Ort tatsächlich gibt.
Der Chef erklärt sich auf mein Drängeln hin bereit, die Rufunterdrückung seines Telefons zu aktivieren und bei Klaus Müller in Linsengericht anzurufen, zum Glück gibt es nur einen Eintrag. Eine Frau geht ans Telefon. Sie sagt, Klaus sei ihr Sohn, sie sei nur zufällig da, weil sie bei ihm lüftet, er komme nämlich heute nach Hause, der Klaus, er sei ein paar Tage fort gewesen im Norden. Die anderen kämen heute auch alle zurück. Aha. Ich kapiere gar nichts und sage: »Ich bin eine alte Bekannte, ich melde mich später wieder«, und lege auf. Was hat denn das zu bedeuten? Nun, ich werde es herausfinden. Ich fange sofort damit an.
»Wie weit ist es von hier nach Linsengericht?«, frage ich den Chef aufgeregt, und er googelt am Rechner herum und sagt dann: »Knapp fünfhundert Kilometer.«
»Das ist in vier Stunden zu schaffen«, sage ich zu Herrn Richter, der aber erst noch in einen Supermarkt fahren will, um zusätzlichen Proviant einzukaufen. »Der Wolf braucht ja auch was«, rechtfertigt er sich. »Also ich möchte nicht mit einem hungrigen Wolf in einem Auto sitzen. Ein Wolf ist immer noch ein Raubtier.«
Ein Wolf schon. Aber der Heuler doch nicht.
Mit Herrn Richter ist das so eine Sache. Nicht, dass ich ihn nicht mögen würde, er ist ein feiner, alter Herr, aber doch anstrengend. Mir war vorher noch gar nicht aufgefallen, dass er beinahe jeden Satz mit »Hab ich Ihnen eigentlich schon die Geschichte erzählt, in der … « beginnt. Weil wir uns ja erst kurz kennen, dürfte es klar sein, dass er mir die Geschichte
noch nicht
erzählt hat. Und so
berichtet er mir von wahnsinnig interessanten Sachen wie davon, dass er nachts mal aus dem Bett geklingelt wurde und als er an die Sprechanlage gegangen ist, war da niemand mehr. Heute weiß er immer noch nicht, wer ihm da übel mitgespielt hat. Er muss sehr oft an diesen Zwischenfall denken und hat schon überlegt, diese Geschichte in einem Tatsachenroman zu verarbeiten.
Sehr zu Herzen geht Herrn Richter auch die Sache mit dem Entsafter. Er hatte extra frische Johannisbeeren auf dem Markt eingekauft und wollte Gelee daraus machen, was auch sonst, und als er nach Hause kam, hat er den Entsafter nicht gefunden. Überall wurde der Entsafter gesucht, aber er blieb verschollen. Letztendlich hat sich Herr Richter einen neuen Entsafter gekauft, und just an diesem Tag klingelte Frau Sturm aus dem Erdgeschoss und brachte ihm seinen ausgeliehenen Entsafter zurück. Herr Richter hatte doch tatsächlich vergessen, dass er ihn Frau Sturm geliehen hatte, weil nämlich Frau Sturm wiederum ihren eigenen Entsafter ihrer Schwester geschenkt hatte, ohne darüber nachzudenken, dass sie ja eigentlich einen braucht, weil sie auch Gelee und so etwas macht. Und zu dumm, dass die Schwester nach Nürnberg verzogen war, sonst hätte man ihn ja eben schnell holen können, nicht wahr? Herr Richter ärgert sich heute noch über die unnütze Geldausgabe, denn natürlich hat er ein Markengerät gekauft und nicht irgendein Produkt aus Taiwan. Herr Richter legt Wert auf deutsche Qualität, das ist unglaublich
Weitere Kostenlose Bücher