Saure Milch (German Edition)
auszuhorchen.
Leni erzählte ihr eine ganze Menge. Von den Kollegen im
Labor, von dem Professor, der ihre Doktorarbeit betreute, von den ungenießbaren
Gerichten in der Cafeteria, die jede Diät überflüssig machten, und von dem neuen
Gerät für Gelelektrophorese, das zwei Wochen lang nicht funktioniert hatte.
»Gel-elektro-phorese?«, echote Fanni.
»Ja! Weißt du, Mami, so ein Apparat kann unterschiedlich lange DNA -Fragmente der Größe nach ordnen. Das ist ganz
wichtig, denn so entsteht das Bandenmuster. Man pipettiert DNA -Stücke auf eine Gelplatte, die an ein elektrisches
Feld angeschlossen ist. Wegen der negativen Ladung der DNA bewegen sich die DNA -Fragmente zum positiven Pol der
Platte. Kurze Stücke wandern schneller durch die Poren des Gels als lange. Nach
einiger Zeit wird das elektrische Feld abgeschaltet und die DNA -Fragmente liegen der Größe nach auf der Gelbahn.
Zwei Wochen lang sind die DNA -Fragmente jedes
Mal wie ein Heringsschwarm im Kreis geschwommen, anstatt sich ordentlich
aufzureihen. Es hat einfach nicht funktioniert, bis Thomas auf den rettenden
Einfall kam.«
»Thomas Zacher?« Fanni hatte ihn glatt vergessen.
»Ja, Thomas! Er hat gemeint, wir sollten doch mal nachsehen, ob der
Apparat ans richtige Netzteil angeschlossen ist. Bingo. Die Gelelektrophorese
kann natürlich nur dann klappen, wenn sich die Pole nicht ständig ändern, so
wie es bei dem Wechselstrom aus der Steckdose der Fall ist. Zwischen Steckdose
und Gelplatte muss deshalb ein Netzteil mit Gleichrichter geschaltet werden.
Wir hatten eines ohne.«
Hans Rot bog sich vor Lachen. Fanni nutzte ihre Chance. »Kennt sich
denn Thomas in Molekularbiologie aus?«
»Das weniger«, kicherte Leni. »Thomas unterrichtet seit ein paar
Monaten Elektrotechnik an der Berufsschule in Straubing, und dabei erlebt er
täglich mehr Fehler und Irrtümer, als er je ausmerzen kann.«
»Oh, ich dachte, Thomas arbeitet in der Werkstatt seines Vaters«,
hakte Fanni nach.
»Nur manchmal, zum Spaß«, erklärte Leni, »wenn ein ausgefallener
Wagen hereinkommt oder wenn es Probleme mit irgendwelchen Schaltkreisen gibt.
Thomas hat nie vorgehabt, die Werkstatt zu übernehmen, auch wenn sein Vater das
gern gesehen hätte und ihn quasi gezwungen hat, eine Kfz-Mechaniker-Lehre zu
machen. Sobald Thomas volljährig war, hat er sich an der FOS eingeschrieben und das Abitur nachgemacht. Danach
hat er an der FH Elektrotechnik studiert. Im
Moment ist er auf Wohnungssuche. Jeden Morgen fast fünfzig Kilometer von Regen
nach Straubing zu fahren und am Abend dasselbe wieder zurück wird auf Dauer
quälend. Er hat allerdings seinem Vater versprochen, samstags in der Werkstatt
auszuhelfen. Manchmal ist da der Teufel los. Seit Thomas’ Vater die Schwester
eines Getriebeölhändlers aus Prag geheiratet hat, bekommt er noch mehr Autos
zur Reparatur.«
Er frisiert Diebesgut, dachte Fanni. Weiß man doch, wie so was geht.
Seriennummern werden aus Motorblöcken geschliffen, ein neuer Tacho wird
eingebaut, und umgespritzt wird sowieso.
»Da wären wir«, sagte Hans Rot.
5.
Fanni und ihr Mann kamen am Dienstag, den 14. Juni, spätabends nach Erlenweiler
zurück. Sie hatten Leni in Nürnberg abgesetzt.
»Und dein Auto?«, hatte Fanni gefragt.
»Das steht gut bei euch unter dem Birnbaum. Während der Woche
brauche ich es sowieso nicht. Spritzt du es mit dem Dampfstrahler ab, Papa?«
Fanni packte aus, wusch die Wäsche und so verging der
halbe Mittwoch. Gegen zwei Uhr nachmittags machte sie sich mit einer Schüssel
voll Kartoffelschalen auf den Weg zum Kompost. Seit dem vergangenen Donnerstag
hatte sie jedes Mal eine unsichtbare Wand eintreten müssen, bevor sie ihren
Biomüll entsorgen konnte. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, fragte sie sich
jetzt, als sie aus dem Haus trat, dass du, Fanni Rot, ein zweites Mal im
eigenen Garten eine Leiche findest?
Sie war schon am Komposthaufen, als ihr die Antwort einfiel:
verschwindend gering, ebenso gering, als würde dein Mann zugeben, dass
Kegelschieben eine hirnlose Beschäftigung für frustrierte, schmerbäuchige alte
Knacker ist.
Fanni beugte sich über die imprägnierten Holzlatten, die den
Grünabfall in Schach hielten, und klatschte die Kartoffelschalen auf ihre
verfaulten Vorgänger. Dann schwenkte sie herum und schaute über die Wiese
hinauf zum Klein-Hof. Niemand zu sehen.
Man sollte, dachte Fanni und meinte sich selbst, hinaufgehen und ein
paar passende Worte sagen. Man sollte Hilfe anbieten und dem
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