Saure Milch (German Edition)
wir haben Böckl und Praml in Reserve. Doch du weißt so gut
wie ich, dass sie nicht wirklich verdächtig sind. Beiden fehlt zwar das
sogenannte hieb- und stichfeste Alibi, aber das
beweist noch gar nichts.«
»Kundler«, warf Sprudel ein und schluckte eine Kirsche.
»Kundler hat ein einwandfreies Alibi«, murmelte Fanni matt.
»Falsch«, sagte Sprudel, und Fanni sah ihn verständnislos an.
»Ich habe es durch Zufall herausbekommen«, gab Sprudel ganz ehrlich
zu. »Einer von unseren Streifenpolizisten ist ein energischer Verfechter der
bairischen Mundart. Jedes ›Hallo‹ würde er am liebsten mit drei Monaten Arrest
bestrafen, und auf ›Tschüss‹sollte seiner Meinung
nach lebenslänglich stehen. Ich bin ihm gestern Mittag über den Weg gelaufen,
kurz nachdem ich das Protokoll von Kundler gelesen hatte. Ich habe Grüß Gott zu dem Kollegen gesagt, wie er es gerne hört, und
dann habe ich – noch ohne den geringsten Zweifel an Kundlers
Aussage – ein Gespräch über die Erhaltung der bairischen Mundart
angefangen. Der engagierte Kollege besucht nämlich sämtliche Zusammenkünfte,
die sich damit befassen, und er kennt alle seine Mitstreiter. Kundler war ihm
nicht bekannt. Das ist mir komisch vorgekommen, und deshalb habe ich die
Versammlung vom 9. Juni in
Regensburg erwähnt. Was glaubst du, Fanni, was ich zu hören bekam?«
»Keine Tagung?«, fragte Fanni atemlos. »Kundler hat die Polizei
angelogen, und nicht nur die Polizei, sondern auch seine Frau?«
Sprudel grinste.
»Auch wenn er gelogen hat, der Kundler«, sagte Fanni schon wieder
ernüchtert, »zu Hause war er jedenfalls nicht, und das ist Alibi genug.«
»Er könnte zurückgekommen sein«, widersprach Sprudel, »falls seine
Frau selbst ausgeflogen war, hätte sie es nicht gemerkt.«
»War sie tatsächlich«, keuchte Fanni. »Frau Kundler hat mir erzählt,
dass sie von der Polizeiaktion an Mirzas Todestag überhaupt nichts mitbekommen
hat, weil sie schon um neun Uhr morgens einen Termin beim Augenarzt hatte,
anschließend eine geschlagene Stunde beim Optiker zugebracht hat und mittags
mit einer Freundin verabredet war.«
»Sieht nicht gut aus für Kundler«, sagte Sprudel, »aber eine
Kleinigkeit stört mich noch an der Sache. Hat dir Frau Kundler nicht erzählt,
dass ihr Mann regelmäßig zu diesen Tagungen fährt?«
Fanni nickte und sagte: »Fragt sich, was Kundler immer gemacht hat,
wenn er seiner Frau die Lügengeschichten über Mundarttagungen aufgetischt hat?
Und was hat er am 9. Juni
gemacht – das übliche Geheime oder hat er Mirza erschlagen?«
»Ich könnte ihn vorladen und verhören …«, begann Sprudel.
»Aber lieber würdest du ihm nachspionieren«, unterbrach ihn Fanni.
Sprudel tat schockiert. »Verdeckt ermitteln heißt das«, sagte er
vorwurfsvoll.
»Um ›verdeckt zu ermitteln‹ müsstest du wissen, wann Kundler wieder
zu einer seiner Tagungen fährt«, sagte Fanni. »Drei Wochen sind schon vergangen
seit seinem letzten Ausflug, könnte bald wieder so weit sein.«
Sprudel horchte auf. »Du weißt es, Fanni«, lachte er, »Frau Kundler
hat es dir gesagt, gestern!«
»Genau das hat sie, Sprudel«, grinste Fanni und fuhr fort. »Kundler
fährt am kommenden Samstag früh nach Passau, hat er jedenfalls seiner Frau
weisgemacht. Wenn du ihn verfolgst, Sprudel, dann komme ich mit.«
»Am Samstag ist Wochenende«, sagte Sprudel trocken.
»Es gibt nicht nur Mundarttagungen«, sagte Fanni, »mein Mann zum
Beispiel fährt übers Wochenende zu einem Schützentreffen.«
Sprudel strahlte. Seine großen Ohren leuchteten hellrot in der
Sonne.
3.
Fanni machte sich Sorgen. Was, wenn Kundler diesmal schon
um halb acht Uhr morgens losfuhr? Dann würde sie den in einer Parkbucht an der
Hauptstraße wartenden Sprudel verpassen, weil Hans Rot noch am Frühstückstisch
saß.
»Der Kaffee wird kalt!«, rief Fanni deshalb am Samstag schon um
sieben ins Badezimmer, wo sich ihr Mann das Kinn einschäumte.
»Du bist spät dran«, meldete sie kurz vor halb acht und brachte
seine Reisetasche in die Garage. Konditioniert wie Böckls Wolfi trabte Hans Rot
seiner Tasche nach, setzte sich ins Auto und ließ den Motor an. Fanni folgte
dem Wagen winkend, bis sie freien Blick auf Kundlers Zufahrt hatte. Dort rührte
sich nichts. Sie raste zurück ins Haus.
Fünf Minuten später schloss sie die Haustür hinter sich zu und
rannte den Erlenweiler Ring hinunter. Sollte ihr doch hinterherglotzen, wer
wollte. Sollte doch Attentatspläne schmieden,
Weitere Kostenlose Bücher