Saure Milch (German Edition)
wer wollte. Eine Minute noch,
dann würde sie sich bei Sprudel in Sicherheit befinden.
Kundlers Garagentor stand bereits offen. Fanni legte an Tempo zu,
bog in die Hauptstraße ein und sah Sprudels Wagen mit angelehnter Beifahrertür
keine zehn Meter hinter der Abzweigung stehen.
Sie warf sich neben Sprudel, gerade als im Rückspiegel Kundlers
weißer Mercedes auftauchte.
»Nach Passau fährt Kundler jedenfalls nicht«, sagte Fanni, als der
Mercedes die entsprechende Abbiegespur ignorierte und geradeaus auf der
Hauptraße weiterfuhr. »München vielleicht«, riet sie.
»Wenn er dieses Tempo beibehält, dann muss er in Landshut
übernachten«, sagte Sprudel.
Fanni fand es recht gemütlich so. Sie lehnte sich in das Polster
zurück, ließ Felder und Gehöfte an sich vorbeiziehen und schwieg.
Sprudel achtete darauf, immer ein oder zwei Autos zwischen sich und
Kundler zu haben. So gondelten sie mit sechzig Stundenkilometern dahin.
Fanni fielen die Augen zu. Vom Klacken des Blinkers schreckte sie
auf.
»Kundler biegt nach Eggenfelden ab«, sagte Sprudel.
Der Stadtverkehr floss dicht am Samstagvormittag. Trotzdem gelang es
ihnen, Kundler im Auge zu behalten. Der fuhr zu einem Wohngebiet im Stadtteil
Gern und stellte den Wagen im Schatten einer Kastanie ab.
Sprudel hielt gut fünfzehn Meter hinter Kundlers Kastanie neben
einem Altglascontainer an.
Fanni und Sprudel beobachteten, wie Kundler seinen Wagen abschloss
und über die Straße ging. Er hatte die andere Seite noch nicht ganz erreicht,
als dort eine Haustür aufgerissen wurde. Ein kleines Mädchen – vier oder
fünf Jahre alt, schätzte Fanni – hopste auf dem Bürgersteig auf und ab,
bis Kundler endlich heran war und sie hochhob. Gleich darauf verschwanden die
beiden im Haus.
Sprudel und Fanni sahen sich an.
»Heimliche Freundin, uneheliches Kind«, sagte Sprudel.
»Kundler ist doch schon bald siebzig!«, regte sich Fanni auf.
Sprudel prustete. »Nach deiner Theorie wäre er wie Jack the Ripper
hinter Mirza her gewesen.«
Fanni sah beleidigt auf die Tür am gegenüberliegenden Bürgersteig,
hinter der Kundler verschwunden war.
Sprudel legte ihr versöhnlich die Hand auf den Arm. »Wachehalten an
Ort und Stelle oder Kaffeetrinken am Stadtplatz unter den Arkaden?«, fragte er.
Fanni zögerte. Da tauchte Kundler wieder auf. Er schob ein Dreirad
aus der Tür. Eine Minute später hüpfte das Kind heraus, stieg aufs Dreirad, und
Kundler lenkte das Gefährt mit einer Führungsstange stadtauswärts. Hinter einer
ganzen Reihe von Kastanien konnte Fanni den oberen Teil einer Rutschbahn
erkennen.
»Er will mit dem Kind zum Spielplatz«, sagte Sprudel.
»Sie werden eine Weile weg sein«, sagte Fanni.
Stille.
Sprudel klemmte seine Wangenfalte zwischen Daumen und Zeigefinger
und zog, bis sie die Nase berührte.
Fanni zwirbelte ihr Halstuch um den linken Zeigefinger.
»Wir tun so, als würden wir nach Bekannten suchen, die hier in der
Nähe wohnen«, sagte Fanni.
»Zeugenbefragung wegen eines Verkehrsunfalls«, sagte Sprudel
gleichzeitig.
»Gut«, ließ ihm Fanni den Vortritt, »du bist der Profi.«
Sprudel stieg aus und querte die Straße. Fanni ließ das Wagenfenster
herunter und hielt ihr Ohr bereit.
Sprudel klingelte, die Tür ging auf. Sprudel zückte die Dienstmarke
und verschwand.
Fanni schloss das Fenster, versperrte den Wagen und schlenderte zum
Spielplatz. Sie verbarg sich hinter den Büschen, die einen weitläufigen
Sandkasten von Klettergerüsten, Schwingseilen und verschiedensten Hüpf-,
Rutsch- und Schaukelgeräten abgrenzten, und äugte durch das Blattwerk. Kundler
saß auf einer Bank, neben ihm stand das verlassene Dreirad. Das Kind kletterte
die Sprossenleiter zur Rutsche hoch.
»Opa!«, rief es, als es oben ankam. »Du musst zuschauen, wenn ich
runterrutsche, schaust du her?«
Fanni war irritiert. Opa, wieso Opa?
Soweit Fanni wusste, hatten Kundlers einen Sohn, der in Südafrika
lebte. Gut, der Sohn konnte in Eggenfelden Frau und Tochter haben, aber warum
sollte er das vor Frau Kundler verheimlichen?
Fanni ging zum Wagen zurück. Sprudel stand an der Beifahrertür. Als
er Fanni sah, kam er ihr entgegen.
»Kundler ist der Großvater von dem Kind«, sagte Fanni.
»Tüchtig, Miss Marple«, lobte Sprudel.
»Aus welchem Grund verheimlicht wohl Kundler seiner Frau, dass ihr
Sohn hier eine Familie hat?«, überlegte Fanni laut.
»Der Sohn hat keine Familie«, sagte Sprudel.
Fanni fuchtelte verwirrt mit dem Autoschlüssel um den
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