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Saure Milch (German Edition)

Saure Milch (German Edition)

Titel: Saure Milch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Erlenweiler, genau in dieser Reihenfolge. Ein Gespräch
über irgendetwas anderes ist mit ihr schlichtweg unmöglich. Gegen Abend kann
man dann überhaupt nicht mehr vernünftig mit ihr reden. Sie gibt Antworten, die
nicht zu den Fragen passen, und sie erzählt drei-, viermal hintereinander
dieselbe Geschichte. Manchmal spricht sie derart verwaschen, als hätte sie
gerade einen akuten Anfall von Zungenlähmung.«
    »Sie säuft«, sagte Sprudel trocken.
    »Das hat Mirza auch immer behauptet«, meinte Fanni darauf. »›Vater
von mir Alkoholiker gewesen‹, hat Mirza oft gesagt, ›erkenne Schnapsdrossel von
zehn Meter weit weg, auch wenn gerade nüchtern.‹ Mirza konnte recht drastisch
werden.«
    »Seiner Frau gegenüber scheint Meiser nicht sehr hilfsbereit zu
sein«, gab Sprudel zu bedenken, »wenn er sie dem Suff überlässt.«
    »Was könnte er denn schon tun?«, wandte Fanni ein. »Ohne ihren
Willen kann er sie nicht zur Entziehung schicken, und die Schnapsflaschen
wegzuschließen, das hilft bekanntlich wenig.«
    »Wer säuft, hat Gründe«, sagte Sprudel bestimmt, »und die sind oft
recht naheliegend.«
    »Gut möglich«, stimmte Fanni zu, »dass Frau Meiser nur deshalb
säuft, weil es nüchtern mit Meiser nicht auszuhalten ist. Niemand könnte sein
Gehabe aushalten Tag für Tag.«
    »Meiser ist ein Prinzipienreiter«, fuhr Fanni fort, nachdem sie
einen Moment nachgedacht hatte, »er ist wie eine Datenbank, sämtliche
Gemeindeverordnungen kennt er auswendig. Wenn du wissen willst, zu welchen
Zeiten du Rasen mähen darfst oder Holz sägen, frag Meiser. Wenn du vergessen
hast, wann die blaue Tonne gelehrt wird, geh zu Meiser, der sagt es dir, und er
sagt dir auch, wann der Kaminkehrer kommt. Meiser speichert alle Daten, auf die
er stößt. Ich glaube, er kann den Tagesablauf der Mäuse und Spatzen von
Erlenweiler dokumentieren. Vielleicht hat Meiser statt DNS Mikrochips in seinen Zellen.«
    »Der Mann ist mir nicht geheuer«, murmelte Sprudel.
    »Meiser macht nie was schlampig«, redete Fanni weiter. »Sein Rasen
ist schöner als der in Wembley. Mirza hat mal gesagt, Meiser zähle jeden Morgen
die Grashalme, und wenn welche über Nacht eingegangen seien, dann lege er neue
Samenkörnchen auf ihre Gräber. Aber Mirza war oft vorlaut. Die Rundlinge um
sein Haus herum hat Meiser in einem bestimmten Muster angeordnet: immer fünf
Stück von klein nach groß, dann wieder von vorne. Sieht schön aus.«
    »Fanni«, stöhnte Sprudel, »das schaut mir wohl eher nach Neurose
aus.«
    Fanni schmunzelte. »Kinder haben Meisers nicht«, erzählte sie noch,
»die hätten auch viel zu viel durcheinandergebracht. Kinder nehmen keine
Rücksicht auf Grashalme oder auf Miniatur-Schubkarren und Leiterwägelchen, die
mit Geranien bepflanzt vor dem Hauseingang stehen. Als Meiser noch nicht
pensioniert war, ist er jeden Tag punkt sechzehn Uhr dreißig nach Hause
gekommen, auf die Minute. Der Tisch war bereits gedeckt, das Essen fertig. Um
sechzehn Uhr zweiunddreißig hat Meiser Gabel und Messer in die Hand genommen.
Ich konnte das gut beobachten, weil Frau Meiser damals noch Scheibengardinen an
ihrem Küchenfenster hatte, die in der Mitte einen Spalt freigelassen haben.
Seit ein paar Jahren hat sie Stores, da sieht man nicht mehr durch.«
    »War Meiser Beamter?«, fragte Sprudel.
    »Ja«, sagte Fanni, »er war auch bei der Justiz. Anfangs im einfachen
Dienst als Pförtner, zuständig für Telefonvermittlung und Postverteilung.
Meiser hat bloß Volksschulabschluss. Aber mit Fleiß und Ausdauer ist es ihm
gelungen sich in den mittleren Dienst hinaufzuhangeln. Er war eine Zeit lang
Protokollführer am Amtsgericht und hat später noch den Sprung zum Grundbuchamt
geschafft.«
    »Saß da nicht Kundler«, warf Sprudel ein.
    »Ja«, sagte Fanni, »Meiser musste Kundlers Verfügungen ausführen.«
    Sprudel schwieg und sah verwirrt aus.
    »Es funktioniert halt bürokratisch«, erklärte Fanni. »Frau Meiser
hat mir den Vorgang einmal beschrieben. Obwohl es Jahre her ist, erinnere ich
mich gut, dass sie mich dafür einen ganzen Nachmittag lang in Beschlag genommen
hat. Also: Kundler, der Beamte im gehobenen Dienst, prüft eine notarielle
Urkunde auf Formfehler. Wenn er nichts zu beanstanden hat, nimmt er ein
Formular und schreibt den Text drauf, der ins Grundbuch eingetragen werden
soll. Das nennt man Verfügung. Der Beamte im mittleren Dienst muss diesen Text
ins Grundbuch eintragen. Beide müssen den Eintrag unterschreiben.«
    »Waren sie schon

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