Sautanz (German Edition)
unbequemen Stellung verharrte, konnte die abgelöste Verkleidung kaum mehr halten. Ihre Finger schmerzten, ein Krampf im Unterarm kündigte sich an. Zum Teufel, was taten die so lange da draußen?
Sie hörte ein Feuerzeug klicken. Und dann eine weibliche Stimme, die aus einiger Entfernung quengelte: »Komm endlich! Oder glaubst du, ich will auf diesem Drecksparkplatz meine Jugend verbringen?«
Das sind gar nicht die Entführer! Vor lauter Erleichterung hätte sie fast die Plastikverkleidung des Drahtes losgelassen. Jetzt konnte sie versuchen, die Leitung anzuheben. Was sich wesentlich einfacher anhörte, als es tatsächlich war. Aber irgendwann hatte sie das dünne Kabel vom Blech losgelöst. Jetzt wurde es spannend. Mit einem energischen Ruck zog sie daran. Es passierte – nichts. Hatte sie sich getäuscht? Zu wenig kräftig gezogen? Sie nahm den Hausschlüssel wieder zu Hilfe, steckte ihn unter den Draht und zog jetzt kräftig an beiden Enden des Schlüssels.
Knack! Die Heckklappe sprang auf. Dorli seufzte erleichtert. Sie hatte vielleicht eine Saumas’n ! Sie robbte zu dem Schlitz und spähte hinaus. Es war noch hell, ein verwaschenes Grau lag über dem Parkplatz. Kein Mensch weit und breit. Sie konnte nur in eine Richtung blicken, und die Raststation lag vermutlich auf der anderen Seite. Sie musste es einfach riskieren.
Dorli drückte den Kofferraumdeckel auf und wollte hinausspringen. Doch ihre seit Stunden minder durchbluteten Gliedmaßen und der scheußlich schmerzende Kopf bremsten ungeheuer. Auf allen vieren kroch sie zum Kofferraumrand, schwang mühevoll ein Bein nach draußen, danach das zweite. Ein Stück weiter spielten zwei Kinder neben einem Auto. Eines blickte zu ihr rüber, lachte, sagte etwas zum anderen Kind, und dann schauten sie mit offenem Mund zu, was sie tat. Zeit, abzuhauen! Dorli zog den Kofferraumdeckel nach unten und sah in die andere Richtung. Niemand stürzte auf sie oder das Auto zu. Gut. Ein letzter Blick auf das Kennzeichen. Das sollte sie sich merken.
Sie drückte den Deckel ins Schloss und entfernte sich gemessenen Schrittes und leicht schwankend in Richtung eines kleinen Wäldchens. Hinter einer ausladenden Mülltonne bezog sie einen Beobachtungsplatz und wartete, dass ihre Gliedmaßen wieder funktionstüchtig wurden. Außerdem konnte sie sich endlich erleichtern. Eine volle Blase war eine ganz schön lästige Angelegenheit. Besonders, wenn sie vielleicht demnächst im Eiltempo verschwinden musste. Sie wusste nicht, wie ihre Entführer aussahen, konnte vielleicht nicht einmal ihre Stimmen identifizieren, da sie immer nur das Gemurmel durch die Trennwand gehört hatte. Es waren aber auf jeden Fall zwei Männer.
Dorli hatte weder Geld noch Handy. Wenn sie von hier wegwollte, dann musste sie entweder eine Frau oder ein Pärchen finden, die bereit waren, ihr zu helfen.
Es war vermutlich früher Nachmittag. Der Himmel verhangen, doch es regnete wenigstens nicht. Dorli blickte in die Runde. Sie entdeckte, wo die Einfahrt zur Raststätte und die Tankstelle lagen. Dort musste sie hin. Und dann möglichst eine Mitfahrgelegenheit in die andere Richtung finden.
Als sie sich eben hinter der Mülltonne vorwagen wollte, sah sie zwei Männer Richtung Auto gehen, das sie eben mühevoll verlassen hatte. Der eine war der Riese, der ihr auf dem Anwesen der Bergmanns begegnet war, kurz bevor bei ihr die Lichter ausgingen. Der andere war kleiner, dunkelhaarig, ein drahtiger Typ. Wahrscheinlich der, der ihr von hinten eins übergebraten hatte. Allerdings sah sie ihn nicht von vorne, sondern nur von der Seite. Sie stiegen ins Auto und starteten. Zeit, sich vom Acker zu machen. Bevor die Gauner entdeckten, dass ihre Beute verschwunden war.
Dorli huschte zu den nächsten abgestellten Autos. Dort blieb sie immer in der halben Deckung der Wagen. Erreichte den Lkw-Parkplatz. Hier war es leichter, sich ungesehen fortzubewegen. Dann musste sie einen freien Platz überqueren, ehe sie zur Ausfahrt gelangte.
Bevor sie sich aus der Deckung wagte, hörte sie das Kreischen von Bremsen. Vorsichtig linste sie zwischen Zugmaschine und Anhänger hindurch. Ihre Entführer! Sie musste entdeckt haben, dass der Kofferraum leer war. Die Männer stiegen aus, schrien sich gegenseitig an und blickten sich hektisch um. In dem Moment startete der Laster neben ihr den Motor. Dorli rannte vor zur Beifahrertür und klopfte dagegen. Dann schwang sie sich rauf und riss die Tür auf. Der Mann am Steuer blickte sie
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