Savoir-vivre mit Hindernissen
macht er mich richtig neugierig. Er überreicht mir eine Schachtel im DIN A4 Format und zählt die Sekunden bis Mitternacht peinlich genau herunter. 10 – 9 – 8 -7 – 6 – 5 - 4 – 3 – 2 – 1 – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Bevor ich auspacken darf, stoßen wir an und ich bekomme unzählige Küsse auf den Mund. Neugierig klappe ich die Schachtel auf und schaue auf ein Schild aus Acryl, das die Aufschrift trägt Solution Partner Academy .
»Hübsch, aber ich verstehe nicht....«
»Das ist das Firmenschild, das künftig über dem Eingang von Chris und Nicoles Hotel hängen wird. Also besser gesagt über dem Eingang des neuen Seminarhotels der Solution Partner. Ich habe den beiden den Komplex abgekauft. Sie bleiben als Pächter und betreiben weiterhin die Gastronomie und statt der bisherigen sechszehn Zimmer, kümmern sie sich nur noch um zwölf. Es ist für beide Seiten ein Win-win-Geschäft.«
»Du hast ihnen das ganze Hotel abgekauft?«
»Nicht ich persönlich, sondern die Firma. Nachdem du mich an dem besagten Abend heimlich beim Sushi Essen beobachtet hattest, trafen sich alle Gesellschafter und beschlossen einstimmig, dass ich aus dem operativen Geschäft aussteige und stattdessen ab Herbst diesen Jahres an diesem Ort ein Bildungszentrum für unsere Kunden errichte. Ja, Lotte. Ich bleibe hier bei dir im Süden. Meine neue Aufgabe wird mich nicht mehr zwölf Stunden täglich ans Büro fesseln. Es wird eher ein überschaubarer Halbtagsjob.«
Ich bin platt. So viele Fragen kreisen in meinem Kopf und ich bitte darum, sie trotz Time out stellen zu dürfen.
»Dann hast du mich nicht belogen und die Versammlung fand noch statt?«
»Ja, und Julia war nur hier, um die Architekten herumzuführen. Nach der Hauptsaison wird die zweite Etage in einen modernen Schulungsraum umgebaut.«
»Wird sie hier mit dir zusammenarbeiten?«
»Nein, wird sie nicht. Lotte, ich weiß, du denkst ich hätte etwas mit ihr gehabt, aber das stimmt nicht. Julia Stöver war nur eine Mitarbeiterin. Deine Eifersucht auf sie war genauso unbegründet wie meine auf diesen Möchtegern Hemingway. Aber ich denke, das kriegen wir in den Griff. Wenn die langen Trennungen ein Ende haben, besteht kein Grund mehr, dass wir uns misstrauen.«
»Du hättest mir eine Menge Kummer ersparen können, wenn du es mir eher gesagt hättest.«
»Ja, das stimmt. Komm, Lotte, lass uns schlafen gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag.«
»Wieso anstrengend? Was hast du vor?«
»Hab ich schon wieder anstrengend gesagt? Ich meinte natürlich aufregend.«
Wie das Kaninchen vor der Schlange
»Komm aus dem Bett und mach dich schön, wir gehen frühstücken.«
»Guten Morgen. Weshalb hast du dich so in Schale geschmissen? Wir sind doch nicht in Hamburg. Casual ist hier angesagt.«
»Andere Sachen habe ich nicht dabei. Ich hatte schließlich nicht viel Zeit zum Koffer packen. Bitte mach du dich auch ein wenig formell zurecht, damit ich nicht wie ein Idiot neben dir wirke.«
»Wo geht es denn hin?«
»Zu Chris und Nicole zum Brunch. Nun beeile dich doch. Es ist gleich elf und ich habe Hunger.«
Ja, doch! Was macht er für einen Aufriss? Dass er immer diesen Chef Ton anschlägt, wenn er einen Anzug trägt. Das hört auf. Künftig wird er wie jeder normale Mensch in diesem Ort einen Bermudashort tragen und ein kurzärmeliges Hemd darüber. Bequeme Slipper und dann wird aus Seibert auch wieder Martin. Während ich unter der Dusche stehe, will er mit dem Hund eine kurze Runde machen.
»Und Haare waschen!«, ruft er mir beim rausgehen zu. Zehn Minuten später steht er schon wieder hinter mir. Während ich meine Haare über die Rundbürste glatt föhne, reicht er mir ein Kleid und Schuhe und treibt mich weiter an.
»Iss einen Jogurt, wenn du es vor Hunger nicht mehr aushältst, und jetzt raus hier!«
Gleich nach Erreichen der Biegung schaue ich in den Garten vor dem Hotel.
»Da ist ja schon alles belegt!«, sage ich erstaunt.
»Siehst du! Ich hab doch gesagt, du sollst dich beeilen.«
Der Anblick der vollbesetzten Terrasse ist schon ungewöhnlich. Gut, heute ist Anreisetag. Trotzdem habe ich noch nie so viele Menschen im Hotelgarten gesehen. Vor allen nicht so viele, die mir alle bestens bekannt sind.
»Omi«, schreien mir die jüngsten der Anwesenden zu und laufen mir mit ausgestreckten Armen entgegen. Dahinter sehe ich
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