Sax
aus, wie bei einem defekten Atommeiler. Ihre Frau Kohlbrenner hat versucht, meinen Besuch zu verhindern. Hier habe keine Denkmalpflege herumzufummeln, hier gebe es einen Frieden zu respektieren. – Reden wir von einem Friedhof? – Ja, sagte sie. – Kennen Sie Horners Geschichte, Herr Doktor?
Einigermaßen, sagte Achermann. – Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?
Sie dürfen mir die Sternwarte vorführen, sagte Schuppisser, aber zuvor müssen Sie noch etwas hören. Vielleicht sage ich Ihnen ja nichts Neues.
Es muß in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts gewesen sein, Horner war Professor, Erziehungsrat, Landvermesser, alles mögliche – aber kein Seemann mehr. Er saß auf dem Trockenen. Da entdeckte er im Winkel seines Hofes diesen Sodbrunnen. Wie tief man da fallen konnte, hat er gewiß nicht nur mit einem Stein ausprobiert. Er hat es gemessen. Und da muß ihm eines Tages eineIdee gekommen sein: er könne diesen Schacht ausgießen und als Fundament benützen, für das Instrument, das er am meisten entbehrt hat: sein Teleskop. Ein Pfahl im Fleisch der Erde, eine feste Grundlage für die Wissenschaft! Und dann hat er diesen Sockel immer höher gegossen, doch lange nicht hoch genug, daß er in die Klarheit eines Meeres- oder Wüstenhimmels hinaufreichte. Wäre es nur um das bißchen Höhe gegangen, hätte er sein Fernrohr auch auf die Terrasse stellen können. Aber er wollte eine Sternwarte bauen, nicht wahr? Aber warum?
Die Baubewilligung – wenn er 1832 eine brauchte, hat er sie sich am Stammtisch der Schneiderzunft besorgt. Er gehörte ja dazu. Heimatschutz gab es noch nicht. Und das Werk wurde fertig – das erlebte er gerade noch. Hat er Aufrichte gefeiert im Kreis verschwiegener Freunde? Kaum. Denn als das Werk vollbracht war, an das er Hab und Gut und seinen letzten Atem verschwendet hatte, muß er längst gewußt haben: es war umsonst.
Der Mittelkern, die tragende Säule, hatte sich unter dem eigenen Gewicht gesenkt. Und senkte sich weiter, das konnte er messen. Das Fundament seiner Arbeit war selbst ohne Fundament. Der Pfahl bohrte nur den Sodbrunnen immer tiefer aus. Eine Katastrophe, die sich nicht korrigieren ließ. Und was hat Horner gemacht?
Er hat den Beobachtungsspalt genordet, für immer, und die Drehmechanik blockiert. Die ganze Kuppel in eine Kiste verpackt. Die Sternwarte zugenagelt, als Denkmal einer begrabenen Hoffnung, lichtlos. Gerade noch lebendig, hat er sich selbst ans Begrabensein gewöhnt. Allerseelen 1834 ist er gestorben, bei Neumond.
Aber der Holzturm ist erst 1953 errichtet worden, von Leonhard Leu.
Nein. Er hat nur den Deckel gelüftet, weil er Gespenster darunter vermutete. Und als nur eine Kuppel zum Vorschein kam, hat er ihn wieder draufgesetzt, mit dem Segen eines Kapuziners. Was sollte er mit einer toten Sternwarte? Sie hätte den Denkmalschutzauf den Plan gerufen, und der hätte ihn zu Investitionen genötigt. Er hätte das Haus nur nach Vorschrift bewohnen können, der Verkaufswert wäre ins Bodenlose gestürzt. Nun hat er sich auch ohne Denkmalschutz ruiniert. Und der kommt Ihnen doch noch ins Haus, mit meiner Wenigkeit, nur viele Jahrzehnte zu spät.
Warum haben Sie nichts unternommen, damals, 1968?
Es durfte nichts kosten. Für eine Sternwarte, die noch teuer saniert werden muß und nichts bringt, hat die Stadt kein Geld. Wir hätten sie enteignen müssen, um sie zu konservieren, aber wozu? Ich hatte keine Lust, mit drei Anwälten Ihres Kalibers um ein Gebäude zu prozessieren, dessen Kern ein Paradox ist.
Und warum sind Sie gekommen?
Sie fürchten das Schlimmste, nicht wahr? Mit Recht. Ich muß Sie bitten, die Sternwarte zu räumen. Die Säule sackt weiter ab, die Stufen brechen, der Zug auf die Wände nimmt zu. Wir haben schon vor vierzig Jahren Risse festgestellt und veranlaßt, daß das Treppenhaus unten und oben zugemacht wird. Nun haben Sie es wieder geöffnet – ich verstehe gut, daß Sie dem Reiz nicht widerstehen konnten.
Als ich die Sternwarte renovieren ließ, hat der Handwerker keine Mängel festgestellt.
Warum sollte Herr Frischknecht Mängel feststellen? Er wollte Ihnen dienen – und wußte einen unkonventionellen Auftrag zu schätzen.
Gehen wir jetzt in die Kuppel, Herr Schuppisser.
Wenn Sie mir zuvor noch eine Frage erlauben. Sie haben die Anordnung gehört, zu der ich von Amts wegen verpflichtet bin. Werden Sie ihr folgen?
Nein, sagte Achermann.
Dann verstehen Sie, daß ich es vorziehe, die Kuppel nicht zu betreten. In
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