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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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zeigten. Schließlich suchte ihr der Vater eine Braut aus, die zu seinen Plänen paßte. Mit dem Hochzeitsbett näherte sich unerbittlich der Augenblick der Wahrheit. Suleika in ihrer falschen Männertracht durfte sich nicht nackt zeigen; über den Grund konnte sie nicht reden, es blieb nur der Rückzug in eine todähnliche Erstarrung. Die verstörte Braut floh zu den Ihren zurück, und diese rotteten sich, um die Schmach mit Blut abzuwaschen. Aber der eigene Vater hatte den vermeintlichen Sohn schon selbst gerichtet. Dabei kam sein wahres Geschlecht an den Tag, und da Allah den Selbstmord untersagt hatte, blieb dem Vater nur der Ausweg in den Irrsinn. Nur in der Weisheit des Dorfnarren, der kommen sah, was er nicht verhindern konnte, schien die Spur von Gottes Güte auf: sie würde zu tun bekommen, um diese Menschen für ihr Verhängnis zu entschädigen.
    Auf der zweiten Spur wartete das Paar dafür den Tod nicht ab. Der falsche Bräutigam löste seinen Konflikt im Hochzeitsbett durch eine Flucht nach vorn in eine lesbische Beziehung, die jeder Zensur spottete. Der Braut aber geschah Genüge, das Geschlecht war kein Schicksal, und der falsche Salman verführte die richtige Suleika dazu, ihre Ehe als gültig zu betrachten. Sie spielte aller Welt vor, mit einem Gatten zu leben, aber er war eine Frau.
    Die
whizz kids
hatten beide Programme simultan in den zerebralen Rezeptor gespeist und ihm überlassen, das Unvereinbare zu sortieren. Funktionierte das Gehirn wie ein Silikonkristall? Konnte es nur das eine
oder
das andere als wahr gelten lassen? So schien es. Die überwiegende Mehrheit des Publikums hatte
nur
Pornographie gesehen; darunter sämtliche Gäste aus Shaidan. Sie empörten sich so kategorisch, daß sich die Minderheit bald nicht mehr traute,
auch
etwas anderes gesehen zu haben. Die Cooling-down-Party im ehemaligen Kongreßzentrum artete in ein Handgemenge aus, bis es Schieß gelang, den Veranstaltern die geforderten Erklärungen abzunötigen. Wittwer gab also mit tiefgefrorener Miene bekannt, was man gesehen habe, sei nur mit dem Einfluß Satans zu erklären und natürlich um so weniger zu entschuldigen. Salomon stellte richtig, das Publikum habe überhaupt nicht das vorbereitete Programm gesehen. Offensichtlich hätten sich Trojaner ins System geschlichen und die Botschaft verdreht. Seine Majestät lasse sich bei allen Anwesenden entschuldigen. Seine Majestät schien gleich zwanzigmal vorhanden zu sein, und Wittwer fügte sich nahtlos in die Drohkulisse. Leider, sagte er, könne die Vorstellung, deren Zeuge sie gewesen seien, die schweizerisch-arabischen Beziehungen nachhaltig beschädigen. Im Namen von Herrn Bundesrat Schieß ersuche er darum die anwesenden Medienvertreter, nur den authentischen Schluß, den tragischen, zu referieren. Salomon versprach die Säuberung des Programms und bessere Sicherung korrekter Inhalte. Selbstverständlich waren diese Klarstellungen Ohrfeigen für Gaul; er saß nicht lange am Tisch, und Moritz Asser hörte in seiner Nähe zwei junge Redakteure sagen:
jetzt muß er dran glauben.
Aber an dem war es denn doch nicht. Bald stand er, einen Whisky in der Hand, in einem Kreis bewundernder Damen und erläuterte ihnen den erotischen Sinn der Verschleierung.
    Die Medien waren des Lobes voll über das 4-D-Erlebnis und verbreiteten sich gerührt über die arabische Tragödie des fehlenden Stammhalters. Kurz darauf gab
Shaidan Planet Switzerland
eine dürre Pressemitteilung heraus, die Gala im September müsse aus technischen Gründen verschoben werden – was unter Kennern nur soviel heißen konnte wie: sie war abgesagt. Gleichzeitig aber erhielten die bereits ausgelosten 666 Erwählten ein Formular, auf dem sie bescheinigen sollten, daß sie am Testflug in die Schwerelosigkeit auf eigenes Risiko teilnähmen und die Organisatoren von jeglicher Haftung entbänden. Das klang etwa so einladend wie ein Versuch mit Pestbazillen; kein Wunder, daß die Angeschriebenen mehrheitlich zurücktraten. Daß der Testflug deswegen keineswegs abgeblasen war, entnahm Moritz Asser der erhöhten Betriebsamkeit auf dem Areal.
    Von einer «Gala für Sidonie» war allerdings keine Rede mehr. Was Numa Gaul betraf, so widerlegte er düstere Vermutungen über sein Schicksal durch unverwüstliche Anwesenheit. Doch hatte er deutlich abgenommen. Ja, er sei gerüffelt worden, erklärte er Moritz, als dieser ihn in der alten Sennerei besuchte. Aber nicht, weil die Produktion nicht gelungen, sondern weil sie vielen

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