Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
Taxiauslagen für Gregor. Der Rest wurde als Reserve bei einer Bank deponiert, mit deren Anlagepolitik man sich politisch identifizieren konnte. Moritz hatte eine dänische bestimmt, aber es müsse sich um ein Provisorium handeln. Man suche einen ganz anderen Zugang zum Finanzgeschäft. Was Thomas Schinz betraf: die Miete, die er für die Anwälte übernommen hatte, wurde so bald wie möglich abgelöst – in aller Freundschaft, auch wenn Jacques murrte. Wir sind keine Ödipus AG, beschied ihn Moritz. Marybel wußte, welche Pläne Thomas mit Moritz gehabt hatte und wie große Stücke er auf ihn hielt. Zum Glück hatte sie diese Verbindung nicht ganz abgebrochen.
    Noch lebten die Anwälte auf Pump, und das Salär kam einem Taschengeld gleich. Aber Moritz traf Vorsorge für ganz andere Verhältnisse. Sollten die Mandate der Teilhaber zu größeren Einkünften führen, würde der Löwenanteil einem Fonds zugeschlagen, den man als Kapital zum Einstieg in eine Steuerung des Geldwesens ins Gemeinnützige verstand. Marybel fühlte sich als völlige Analphabetindieser politischen Wissenschaft. Aber es entging ihr nicht, daß Herz und Seele der Advokaten am gemeinsamen Projekt unterschiedlich beteiligt waren. Was Jacques betraf, so war er nicht nur
pfleglichen
Umgang mit Geld nicht gewohnt, sondern gar keinen. Warum hätte er im Haus seines Vaters rechnen lernen sollen? Hubert konnte haushalten, zugleich schien ihn Geld kaum zu interessieren. Moritz aber hatte die Akkumulation von Kapital zum Hauptziel des Kollektivs erklärt. Das konnte nur heißen, daß die Geschäftsführung an ihm hängenblieb.
    Sie trafen sich von nun an jeden Freitagnachmittag um vier Uhr zu einer Kanzleikonferenz. Für ihre Beschlüsse wurde Einstimmigkeit verlangt – auch mit Marybels Stimme. Ihr Anteil würde sich nicht auf Büroarbeit beschränken, auch wenn sie darauf bestand, ihre Name dürfe in keinem Briefkopf erscheinen, bei keiner Präsentation, schon gar nicht auf dem Türschild.
    Sie bleibt unsere graue Eminenz, sagte Jacques, und Moritz widersprach galant: ich sehe nichts Graues an ihr.
    Eine glückliche Hand bewies Marybel sogleich beim Umgang mit Peter Leu. Sie hatte schon beim Dachfest die Witterung seines Elends aufgenommen. Jetzt wußte sie: Thomas hatte ihn in der Hand. Zugleich betrachtete er den Bankier als Hochverräter an seinem Vertrauen. Wer, wenn nicht der Vater, konnte dem Sohn die ehrenrührigen Indiskretionen eingeflüstert haben, mit denen Jacques seine Geisterrevue gespickt hatte! Da hatte Marybel allerhand richtigzustellen. Sie half Leu, seine Abhängigkeiten zu sortieren, und wußte, daß er sich gar nicht leisten konnte, seinen Hauptgläubiger zu verprellen, aber Reinhold Dörig bot die Chance, dessen Schlinge zu lockern. Marybel war klar, wem das Haus gehören mußte: der seltsamen Dreieinigkeit, deren beweglicher Teil sie geworden war, doch ihr Instinkt gebot ihr, Peter Leu als Respektsperson zu behandeln. Auch schenkten ihm die Advokaten das Wohnrecht auf der anderen Hälfte des vierten Stocks, den Dörig gemietet hatte, als Rückzugsgebiet vom Geschäft und einer zur Qual gewordenen Ehe. Es war Marybel, welche diese Lösung ausgehandelthatte, und danach war es kein Wunder, daß Peter Leu sie als persönlichen Engel betrachtete. Beim Umzug innerhalb der Etage hatte Hermann Frischknecht Hand angelegt, und Marybel hatte sich mit ihm angefreundet, denn sie witterte seine besondere Beziehung zu diesem Haus.
    Auch die Advokaten betätigten sich schlecht und recht als Umzugsmänner, allein Jacques verließ sein Dachzimmer nur ausnahmsweise. Auch das lag an Marybel – an der Schonung, die sie ihm auferlegte. Ihrem praktischen Urteil beugten sich Hubert und Moritz noch bereitwilliger als Jacques ihrem gesundheitlichen. Und so geschah es, daß ein Umzug innerhalb einer Etage ausreichte, Marybels Position im Anwaltskollektiv zu begründen – und auch diesem selbst einen festeren Boden einzuziehen.
    Der Klientenverkehr der drei blieb undurchdringlich. Jacques war außer Haus mit einer reichen alten Dame beschäftigt, Moritz brachte immer noch einen Teil seiner Zeit im Bankhaus Schinz zu und war oft in London, um dort einen Stützpunkt zu errichten, wofür, verstand einstweilen er allein. Nur Hubert Achermann hatte schon in der ersten Woche eine Klientin in seinem Dachbüro empfangen. Es war die Schauspielschülerin Sidonie Wirz.

6
17. September 1970. Sidonie
    Am Vormittag hatte sich Achermann mit dem Sortieren von Büchern

Weitere Kostenlose Bücher