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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Europa ja nur der Schweiz beizutreten, dann sind wir aus dem Schneider.
    Das glaubt Schieß auch, ungefähr. Damit beschäftigt sich der «Gugger».
    Wunderbar, sagte Jacques. – Gelobt sei das Opfer deines Intellekts. Alles für Sidonie. Siezt ihr euch immer noch?
    Nur unter uns. Vor Leuten nicht. Sie ist in der Politik, und da gilt unter Schweizern der Duzfuß, sonst hast du kein Brot.
    Vor Leuten duzt ihr euch, unter euch bleibt ihr beim Sie?
    Du fragst intim, mein Freund. Aber so ist es.
    Darauf muß man kommen. Dafür erhältst du auch ein Geständnis. Ich habe Sidonie ja schon früher gekannt als du. Und wenn ich eine wirklich hätte heiraten sollen – dann keine andere.
    Leider hat sie dir einen Korb gegeben.
    Bist du so sicher? fragte Jacques maliziös.
    Ich kenne ihre Freunde, sagte Achermann. – Wir heiraten. Jacques hatte gerade das Glas am Mund und hielt es dort eine ganze Weile, bevor er einen doppelten Schluck nahm; dann leerte er es ganz und stellte es hart auf den Tisch.
    Du und Sidonie? Willst du doch noch ein Heiliger werden? Du! bist! mir! ein! Freund! sagte er, anhaltend fassungslos.

13
1992. Flordeliza
    Schon eine Weile kämpfte Jacques mit dem Entschluß, das Herrenmünster vor Ende der Trauerfeier zu verlassen. Er fürchtete sich nur vor der Auffälligkeit seines Abgangs, denn alles, was in der Stadt Rang und Gewicht hatte, füllte die Kirche, die ihr den Namen gegeben hatte, bis zum letzten Platz. Markus Schwab war Jacques’ Doktorvater gewesen. Seine Dissertation über das erste Fabrikgesetz im Kanton Glarus hatte er einst wie folgt kommentiert: «In der Substanz originell, in der Haltung nicht objektiv und im Ton deplaziert.» Am Ende hatte Schwab die Arbeit, vielleicht aus Rücksicht auf Jacques’ Vater, durchgehen lassen, aber mit einem «cum laude» bestraft; Jacques konnte eine akademische Laufbahn vergessen. Jetzt saß sein Vater, neben Mara, drei Reihen hinter ihm und verengte den Mittelgang mit seinem Rollstuhl. Der Weg zum Ausgang führte unerbittlich an ihm vorbei, und Jacques hatte schon bald eine Stunde seine Augen auf Hals und Rücken gespürt; eine ausgemachte Folter.
    Und noch immer würdigte Fritz Walder den Verewigten vom Taufstein her mit bewegten Worten. Unvorstellbar, daß er mit derselben belegten Stimme Liebesworte in Sidonies Ohr raunte. Während Jacques’ Studium war Walder ein junger Dozent des öffentlichen Rechts gewesen und hieß «der Gerechte», weil er der Gerechtigkeit profunde, im Alten Testament gegründete Reflexionen widmete. Sie waren an sein Verständnis des
Heiligen
gebunden, dem er weltliche Rechtsfähigkeit zusprach. Er war Sozialdemokrat, hatte zwei Legislaturperioden im kantonalen Parlament gedient,galt als mustergültig verheiratet und gehörte zu denen, die man in den schnippischen achtziger Jahren «Gutmenschen» zu nennen anfing. Dabei behielt er auch mit grauem Haar etwas Jungenhaftes, und die Wandertracht stimmte dazu. Dagegen hatte Sidonies urbane Figur zwischen Felsen und Kühen noch exotischer gewirkt als Jacques’ Filipinas. Es hatte etwas peinlich Rührendes, wie weit das Paar gehen mußte, um allein zu sein.
    Sich selbst konnte Jacques, angesichts versammelter Fakultät und der bürgerlichen Trauergemeinde, stellenlos werden fühlen. Er gehörte nicht mehr dazu, aber auch im Haus «zum Eisernen Zeit» ging er um wie ein unerlöster Geist. Das Geschäft mit den Erblasserinnen lag danieder; die Schätze, die er früher mit seinem Charme an Land gezogen hatte, waren unerreichbar geworden, von Geiz oder Eigensinn bewacht. Was er noch fischte, waren alte Stiefel oder reale Körbe. Die einzigen, die seinen Wert bestätigten, die armen Seelen von LUZ, stellten ihn durch Naivität auch wieder in Frage. Der große Herr, den sie in ihm verehrten, war er nicht. Früher war er stolz darauf gewesen, in anderen Betten zu schlafen; jetzt gehörte ihm auch das eigene nicht mehr. Er hatte seine Stadtwohnung den beiden Damen kampflos preisgegeben und schenkte ihnen auch noch die Miete. Ein echtes Gespräch mit Gabriele langweilte ihn zu Tode und war doch immer noch erträglicher als die waidwunde Innigkeit, die ihm aus Marybels blauen Augen entgegenstrahlte. Jede ihrer Mienen sagte ihm, daß sie für ihn durchs Feuer ging – vorausgesetzt, daß sie selbst einheizen durfte. Aber an dem war es nicht mehr. Immer weniger lag ihm daran, mit ihrem abgründigen Verständnis unter einem Dach zu hausen. Da ihm aber auch das Streunen beschwerlich geworden

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