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Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Titel: Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordian Robert
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schuldig zu sprechen. Wer sollte ihn anklagen, gegen ihn zeugen – angesichts seiner versammelten Anhängerschaft?
    So konnten wir jetzt nur unsere Pflicht tun, nicht mehr. In unserer schutzlosen Lage, nach all den Unfällen, mussten wir froh sein, dass es uns überhaupt gelungen war, als Kommissare des Frankenkönigs einem sächsischen Ding (das sie hier übrigens „Think“ nennen) vorzusitzen.
    Die nötigen Einleitungszeremonien und Förmlichkeiten brachten wir glücklich hinter uns. Ich verlas zur Erinnerung die Capitulatio de partibus Saxoniae und einige ältere Sendbriefe des Königs, wobei ich aus dem Lateinischen frei übersetzte und viel wegließ, um die Zuhörer nicht zu ermüden oder – noch schlimmer – zu verärgern. Odo berief die Sachverständigen, und es überraschte uns nicht, dass neben Volz und Gozbert sämtliche Liudolfs und Liutgers auf den Bänken neben uns Platz nahmen, sogar Gerüstete von der Klägerpartei. Da Rouhfaz zu unserem Ärger unsichtbar blieb, versah ich auch das Amt des Gerichtsschreibers. Ich suchte den Kodex für die Notizen und entdeckte ihn am Fuße des Hügels. Ein Gefolgsmann des Grafen brachte ihn grinsend und unter allgemeinem Gelächter herauf.
    Schließlich hob Odo den Richterstab und befahl, mit der Klage zu beginnen.
    Dies ist auf einem placitum immer der Augenblick, in dem die Klägerpartei dominiert und den weiteren Ablauf bestimmt. Volz stieg feierlich hinab. Er selbst hatte sich zum Sprecher gemacht, obwohl er ja nur entfernt über seine verstorbene Frau mit dem Ermordeten verwandt war. So konnte er den weiteren Ablauf bestimmen, und tatsächlich ließ er vom ersten Augenblick an keinen Zweifel darüber, dass er dazu entschlossen war. Wir sollten den Eindruck einer vorbildlichen Rechtsausübung gewinnen, die für Neuerungen offen, jedoch vor allem, wie es der König wünschte, dem Volksrecht und dem Brauchtum verpflichtet war.
    Dazu gehörte das uralte Ritual des Verschreiens.
    Volz gab knappe Befehle, worauf alle Gerüsteten zu ihm traten, in ihrer Mitte der mit dem Leibzeichen. Auch Erk wurde in den Kreis geführt. Von den Knechten gehalten, musste er links von uns, den Richtern, stehen – im Norden, auf der dunklen Seite des Unheils. Rechts von uns, auf der lichtvollen Südseite, bildeten die Kläger zwei Reihen.
    Auf ein Zeichen des Grafen ging es los. Sie rückten drei Schritte vor, zogen die Schwerter, stießen sie hoch in die Luft und schrien:
    „O schreckliche Not,
    unser Bruder ist tot!
    Rache!“
    Die Schwerter wurden zurück in die Scheiden gestoßen.
    Die Totenhand bildete jetzt die Vorhut. Der Mann mit dem Schild trat drei Schritte vor. Der ganze Trupp folgte. Wieder flogen die Schwerter heraus.
    „Vom Tag in die Nacht
    Zum Tode gebracht!
    Rache!“
    Noch einmal drei Schritte. Es mussten neun sein. Zuerst die fraisch , dann die Kläger. Dicht vor dem gesenkten Kopf des reglos stehenden Täters blitzten zum dritten Mal die Schwerter auf.
    „Tief soll es bereuen,
    wen wir verschreien.
    Rache!“
    Sie machten kehrt und eilten zurück. Dabei blieben sie alle drei Schritte stehen und brüllten:
    „Rache!“
    Dann begann alles von vorn.
    Abermals rückten sie vor, schneller diesmal, mit fester stampfenden Schritten. Härter skandierten sie die Verse. Rascher flogen die Schwerter heraus. Die Dinggenossen waren entzückt und schrien jedes Mal mit.
    „Rache!“
    Ich hatte schon manchen Mörder verschreien gehört, doch nie so geordnet und mit so viel rhythmischem Schwung. Man sah den Klägern an, dass sie alle, auch die älteren, geübte Waffentänzer waren. Ohne Zweifel hatten sie ihren Auftritt geprobt, um uns zu beeindrucken. Ich empfand es allerdings als übertrieben, vor dem armen, verschüchterten Knecht ein Fehdegeschrei anzustimmen, als ginge es um eine ganze Sippe von Mördern. Doch immer noch einmal führte Volz, gerötet, schwitzend und am lautesten schreiend, seine Klageschar durch den Ring. Mit einer unheimlichen Sicherheit ließ ihnen der Mann mit dem Schild die blaugrüne Totenhand voranschweben. Endlich kehrten sie ein letztes Mal um und brüllten gemeinsam mit dem Chor der Dinggenossen: „Rache!“
    Nach diesem wirkungsvollen Beginn war damit zu rechnen, dass auch das Folgende sorgsam vorbereitet war. Zunächst gab es eine kurze Pause. Volz musste verschnaufen, für seinen nächsten Auftritt Atem schöpfen. In Bächen lief ihm der Schweiß herab. Er nahm den Helm ab und übergab ihn einem von seiner Klageschar. Einen anderen hieß er

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