Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
Buschwerk. Aber dann glänzte im Sonnenlicht zwischen den Blättern ein Helm auf. Ein Stück weiter leuchtete ein roter Kittel hervor. Mir schien auch, dass Beile und Dolche blinkten. An einer Stelle erzitterten Sträucher, wurden Zweige zur Seite gebogen. Dann sah ich sogar einen Mann hervortreten und aufmerksam, die Augen mit der Hand beschattend, zum Dingplatz herüber sehen. Gleich darauf war er wieder verschwunden.
„Ihre Hilfstruppe zum besonderem Einsatz“, sagte Odo leise. „Wartet wohl auf das Zeichen zum Vormarsch.“
„Was tun wir denn jetzt?“
„Zum Rückzug ist es zu spät. Oder glaubst du, Vater, dass du im Wettlauf mit hundert Sachsen den nächsten rettenden Pferderücken erreichst?“
„So hilft also nur noch beten.“
„Schaden kann es nicht. Aber steh dabei still, bewege dich nicht!“
Noch immer traten Eidhelfer an den Schrein. Alle anderen Dingteilnehmer unterhielten sich fröhlich. Odo verschwand hinter meinem Rücken und es war mir, als bückte er sich und befestigte seine Wadenbänder. Gleich darauf stand er wieder neben mir.
Der alte Eidabnehmer trat zu uns. Er erklärte, dass der Herr Graf sich von dem Vorwurf, an der Ermordung des Herrn Hatto beteiligt gewesen zu sein, mit Gottes und des heiligen Theofrieds Hilfe gereinigt habe. Die Richter könnten nun mit der Verhandlung fortfahren.
Volz, der eigenhändig die Tür des Schreins verschloss, ermunterte uns mit seinem unversiegbaren Lächeln. Wir sahen uns an und nickten uns Mut zu. Langsam stiegen wir Seite an Seite den kleinen Hügel hinauf.
Plötzlich erschrak ich bei dem Gedanken, es könnte jemand von hinten mit Pfeil und Bogen auf uns anlegen. Rasch sah ich mich um – und bemerkte, dass der Graf den Männern am Waldrand ein Zeichen gab.
Als wir uns auf den Richterstühlen niederließen, waren schon alle Köpfe dorthin gereckt. Aus dem Gebüsch traten jetzt die Kerle hervor, die wir vorher gesehen hatten. Es waren nur vier. Zwei gingen vorn, zwei hinten und jeder fasste an eine Totenbahre.
Auf dieser Bahre lag die Leiche des Umm.
„Verflucht!“, sagte Odo. „Die Grabräuber waren schneller als die Walküren.“
Langsam näherten sich die vier. Die Markgenossen, von denen die meisten ihren früheren Häuptling wohl seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, glotzten erstaunt und machten Platz. Auf ein weiteres Zeichen des Volz wurde der Leichnam gleich in den Ring getragen. Spitz hoben sich Nase, Kinn und Ohren von dem eingefallenen Gesicht ab, aus dem alle Teufelsröte gewichen war. Vor dem Tisch und dem Reliquiar setzten die Männer die Bahre nieder.
So waren sie an dem Ort ihrer letzten Begegnung im Leben noch einmal im Tode beieinander: der heidnische Häuptling und sein Opfer, der christliche Missionar.
Lebendig und kraftgeladen aber trat zu ihnen der Mann, der sie beide verraten hatte. Volz kümmerte sich nicht mehr um uns, die Richter, sondern begann sofort, die vier Männer zu befragen. Es waren Leute aus seiner Gefolgschaft. Angeblich hatte er sie beauftragt, in dem nahegelegenen Wald, der zum gräflichen Benefiz gehörte, nach Wilderern zu suchen. Sie hätten den Leichnam aus dem Steingrab geborgen, erklärte ihr Wortführer, zuvor aber dies bemerkt: wie ein Fremder Umm aus seiner Hütte an den einsamen Kultplatz gelockt und wie ein anderer dort gelauert, aus dem Hinterhalt einen Pfeil abgeschossen und den Alten auf der Stelle getötet hatte. Worauf der Leichnam von den beiden Fremden im Steingrab versteckt worden war. Sie alle vier hätten dies, hinter Sträuchern verborgen, mit ihren acht Augen gesehen.
„Und wer sind die feigen Mörder, die den armen alten Mann gemeuchelt haben?“, rief Volz. „Seht ihr sie hier?“
„Wir sehen sie!“, riefen die vier wie aus einem Munde.
„So zeigt sie uns!“
Der Wortführer trat an den Rand des Hügels.
„Der Umm aus der Hütte lockte, sitzt dort!“
Er zeigte auf mich.
„Und der ihn mit dem Pfeilschuss tötete – dort!“
Und er zeigte auf Odo.
Dann ging alles sehr schnell.
Der kleine Gerichtshügel wurde von mehreren Seiten gestürmt und wir wurden von unseren Stühlen gerissen. Ich leistete keine Gegenwehr. Odo konnte noch sein Schwert ziehen und einen der Angreifer verletzen. Doch ein anderer riss unser Gerichtssymbol, den schweren, mit einem eisernen Buckel versehenen Schild, von dem Speer und schlug ihn von hinten auf den Kopf meines Amtsgefährten. Odo sank ohnmächtig um. Zwar kam er gleich wieder zu sich, doch hatte die Zeit gereicht, um
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