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Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman

Titel: Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordian Robert
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dieser heiligen Männer, die man heute preist und verehrt – wie zum Hohn für die schnöde Behandlung zu ihren Lebzeiten. War ich als königlicher Kommissar nicht einer von denen, die sich, statt auch ihr Kreuz zu nehmen, lieber feige auf die Seite der Mächtigen schlugen?
    Wenn Theofried so über mich dachte, zeigte er es mir jedenfalls nicht. Als das Türchen des Schreins geöffnet wurde, war ich von uns beiden der Einzige, der erschrak. Es war aber eher ein Schreck der Erleichterung. Aus irgendeinem vernunftwidrigen Grunde hatte ich mich vor den starren, tief von innen glühenden Augen gefürchtet, ihren sengenden Fragen und Vorwürfen. Aber da waren nur leere Höhlen in einem langen, gelblichen Schädel, der etwas zur Seite geneigt auf einem Kissen lag.
    Indessen war es der Schädel des Theofried. Ich hatte ja vorher schon bedacht, dass es nur ein einziges Merkmal gab, um ihn zweifelsfrei zu erkennen. Dies waren die durch einen heidnischen Faustschlag verursachten Lücken in seinem Gebiss, zwei fehlende Zähne rechts oben und unten, genau einander gegenüber. Tatsächlich bemerkte ich diese eigentümliche Auslassung in zwei sonst vollständigen Reihen starker Zähne.
    Durch ein Brett war das Reliquiar in zwei Hälften geteilt. Der Schädel nahm die obere ein, in der unteren lagen ein paar längliche Knochen, die zu Armen und Beinen gehört hatten. Ich fand bestätigt, was ich aufgrund der heidnischen Opferrituale vermutet hatte: vom Rumpf fehlte jede Spur.
    Als die kleine Prozession mit dem Schrein, bestehend aus Wig, der mit dem Kreuz voranschritt, und ein paar jungen Männern als Trägern, auf dem Dingplatz erschien, warf sich der Graf als Erster auf die Knie. Die Versammlung folgte seinem Beispiel. Ich ging zum Fuße des Hügels hinunter, um dort zu knien. Odo erhob sich von seinem Stuhl.
    Der Priester sprach ein kurzes Gebet, dann standen alle wieder auf. Ich blieb vor dem Schrein stehen, versunken in die Betrachtung der armen Reste dieses außergewöhnlichen, leidenschaftlichen Menschen. Plötzlich hörte ich nahe an meinem Ohr die bekannte klangvolle Stimme.
    „Wollt Ihr selbst uns den Eid abnehmen, Vater? Sprecht Ihr die Formel?“
    Ich erschrak, wandte den Kopf und starrte in das breite, auffordernd lächelnde Gesicht des Volz. Der Graf stand neben mir, und hinter ihm aufgereiht waren Gozbert und die Liudolfs und Liutgers.
    „Was meinst Ihr?“, fragte ich.
    „Die Formel!“
    „Wie?“
    „Damit ich den Eid leisten kann. Selbzwölft. Mit elf Eidhelfern. So wie es Vorschrift ist, wenn sich ein Edler von der Schuld gegenüber einem Edlen reinigt. Diese elf Männer hier wollen mir beistehen und ebenfalls meine Unschuld beeiden. Lasst unseren Heiligen nicht warten!“
    Es war wohl diese familiäre Bemerkung, die der Graf mit einer lässigen Geste zu dem Totenschädel hin begleitete, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Sein Gesicht war auf einmal feist und grob, sein Lächeln ein abgefeimtes Grinsen. Eine Blutwelle der Empörung stieg mir zu Kopf.
    Mit einer fremden, rauen Stimme hörte ich mich fragen: „Sprecht Ihr zu mir als Geistlichem oder als Richter?“
    „Warum fragt Ihr das? Muss man da einen Unterschied machen?“
    „Wenn ich hier nur als Geistlicher wäre, könnte ich Euch den Eid vielleicht abnehmen. Jeder Sünder hat schließlich das Recht, einen Heiligen anzurufen und um sein Zeugnis zu bitten. Aber ich bin hier vor allem als Richter.“
    „Und warum könnt Ihr es nicht als Richter?“
    „Weil es nach dem Gesetz unmöglich ist, dass ein Mörder sein Opfer zum Zeugen anruft. Einen solchen Fall gab es nie und wird es nie geben!“
    Ich sagte das laut und fest, obwohl mein Körper unter der Kutte zitterte.
    Ein paar Atemzüge lang waren nur Vögel, Grillen und Frösche zu hören. Nach einem endlos langen fragenden Blick seiner blauen Augen, den ich tapfer aushielt, sagte der Graf mit sanfter Stimme:
    „Ihr nennt mich seinen Mörder?“
    Plötzlich war Odo an meiner Seite.
    „Das ist natürlich ein anderer Fall“, beeilte er sich zu erklären, „den wir heute nicht zu verhandeln haben! Wenn Ihr allerdings annehmen solltet, der Heilige könnte Euch zürnen, rate ich Euch, ihn bei Euerm Eid lieber nicht anzurufen. Er würde das sicher übel nehmen! Schwört lieber auf die Bibel oder das Kreuz. Der Herr Jesus hat Euch nichts vorzuwerfen, er wurde woanders umgebracht.“
    Volz hatte für diesen wenig pietätvollen Scherz, mit dem ihm Odo ein Schuldgeständnis entlocken wollte,

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