Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
schmecken.“
Anfangs redeten wir nicht viel. Es war ein schwüler Abend. Die Hitze und der Gestank in der Hütte wirkten betäubend. Nicht eine Brotkrume hatten wir seit dem frühen Morgen gegessen. Matt lagen wir auf dem fauligen Stroh. Die Ziegen hatten uns längst als harmlos erkannt, stiegen über unsere Beine hinweg und kitzelten uns mit ihren Bärten.
Gegenüber im Herrenhaus ging das Schreien und Lachen allmählich in Grölen und Lallen über. Das allabendliche Gelage hatte begonnen. Die meisten Gäste, die noch zum Ding geblieben waren, hatten allerdings, Gozberts Beispiel folgend, den Salhof lange vor Einbruch der Dunkelheit verlassen. Vielleicht warteten häusliche Pflichten auf sie. Vielleicht wollten sie aber auch lieber nicht Zeugen sein, wenn man zwei fränkische Kommissare auf einen Karren warf und ins Moor brachte. So waren offenbar nur noch die Liudolfs und Liutgers da, die zehn, zwölf Vasallen des Grafen, der engere Kreis, der immer zusammen blieb. In der Vorhalle war die Jungmannschaft wie gewöhnlich beim Würfeln. Mägde brachten Krüge mit Bier und Wein in das Saalhaus. Sie kamen wieder heraus und standen, an die Pfeiler gelehnt, noch eine Weile herum, gackerten wie die Hühner und reizten die Burschen mit Scherzworten. Als die jungen Männer zudringlich wurden, stoben sie lachend auseinander.
Leise begannen wir miteinander zu sprechen. Natürlich wollten wir die Wächter nicht an die vergessenen Knebel erinnern. Odo war immer noch einsilbig und gab auf meine Fragen und Vermutungen nur knappe, unbestimmte Antworten. Wie konnte er auch wissen, was aus Rouhfaz geworden war. Wohin sich der Priester Wig aus Entsetzen über die Verderbtheit der Welt geflüchtet hatte. Was Nelda als Folge ihrer mutigen Aussage vor der Gerichtsversammlung zugestoßen war.
Die letztere Frage quälte Odo. Er hatte das Mädchen ja dazu gebracht, den Grafen anzuklagen. Ein Leichtsinn sei es gewesen zu glauben, brummte er, dass man Schurken wie Volz mit einem Gerichtsverfahren etwas anhaben könne. Man reize damit nur das Raubtier, das umso wilder und gefährlicher werde.
„Was kümmert den Wolf, wenn man ihm vorhält, dass er die Gesetze der Schafe verletzt hat“, sagte er gallig. „Während die Schafe über ihn zu Gericht sitzen, denkt er mit lechzender Zunge nur daran, welches von ihnen er als nächstes reißen wird. Manchmal sucht er sich der Einfachheit halber gleich die aus, die am lautesten blöken. Siehst du, Vater, so sind wir zwei Hammel im Ziegenstall gelandet.“
Die Nacht brach herein. In der Hütte wurde es finster. Nur der schwache Schein eines Kienspans, den die Wächter draußen entzündet hatten, erhellte die Türöffnung. Ich wälzte mich näher zu ihr hin und hatte auf einmal aus der Tiefe der zwei Fuß in die Erde gegrabenen Hütte den Blick hinauf auf das Dach des Saalhauses und die Eiche, die sich dahinter erhob. Der Himmel war leicht bewölkt, der Mond verdeckt, dennoch waren die Umrisse des gewaltigen Baums gut zu erkennen. Das Gesicht war jetzt allerdings mehr zu ahnen als zu sehen, es lag im Schatten. Nur die den Mund markierende Kerbung hob sich breit und ungewöhnlich hell vom dunklen Grund des Stammes ab.
„Sie haben es also entdeckt“, murmelte ich.
„Was entdeckt?“, fragte Odo.
„Dass man hier auf eine besondere Art Justiz üben wollte. Sieh dort hinauf!“
Odo kroch näher. „Was gibt es da?“
„Streng deine Augen an. Siehst du den hellen Einschnitt in den Eichenstamm über dem Dachfirst?“
„Ja …“
„Es hat jemand versucht, diesen Baum zu fällen.“
„Unser Heiliger mit seinen Brüdern.“
„Nein. Das heißt, die Mönche hatten es vorher versucht. Allerdings von der anderen Seite. Sie wollten natürlich, dass der Baum oben auf die Wiese fiel.“
„Und du meinst …“
„Wer den Baum von dieser Seite her anging, konnte nur eines bezwecken: Er sollte hinunter auf das Saalhaus stürzen.
„Teufel!“, entfuhr es Odo. „Ein erstaunlicher Plan. Und wer, glaubst du, hat ihn ausgeheckt?“
„Vielleicht war es einer, vielleicht waren es zwei. Hass kann die seltsamsten Bündnisse schmieden.“
„Und diese zwei …“
„Ein halbverrückter früherer Mönch, der aber zu mindestens einem Gedanken noch fähig war …“
„Du sprichst von der heiseren Nachtigall?“
„Ja. Und ein alter heidnischer Häuptling.“
„Umm?“
„Beide von diesem einen Gedanken besessen: Rache für das, was ihnen geschehen war.“
Odo stieß einen leisen Pfiff
Weitere Kostenlose Bücher