Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
Gesicht und meinen Körper trampelten, regten mich auf.
Während ich so vor mich hin dämmerte, versuchte ich zu beten. Es gelang mir jetzt weniger als vorher. Immer wieder drängten sich mir Bilder auf. Die blaugrüne Leichenhand auf dem Schild. Das Teufelsgesicht des Umm, dem plötzlich ein Blutstrahl aus dem Mund schoss. Der in Panik fliehende Priester. Die lächelnden blauen Augen des Volz, aus denen Tränen auf den Schädel des Theofried tropften. Zwei leere Stühle auf dem Dinghügel …
Ich schreckte auf, als ich einen Schlag ins Gesicht erhielt, wie einen Peitschenhieb. Der Boden unter mir bebte. Lehmbrocken fielen auf mich, von oben rieselte Stroh herab. Durch ein Gewirr von Hölzern und Blättern suchte ich meinen Kopf ins Freie zu bringen. Der Knebel war fortgerissen, ich atmete keuchend.
Da stieß mir auf einmal Odos Nase entgegen. Sein Schnurrbart geriet mir in den Mund, ich wurde hoch gezerrt. Ein paar Schnitte mit einem Dolch – ich war frei und stand, wenn auch wacklig, auf meinen Füßen.
Es wurde schon hell. Ich kroch und stolperte aus der Hütte. Eine Staubwolke schlug mir ins Gesicht. Blätter, Zweige, Äste, Balken und Bretter wirbelten durch die Luft. Aufgescheuchtes Vieh rannte umher. Ein paar Leute vom Salhof drängten sich aneinander, entsetzt, voll abergläubischer Furcht.
Das Einzige, was noch vom Herrenhaus stand, war einer der bunten, geschnitzten Pfeiler. Er ragte schief aus der Krone des Baums, unter der alles andere begraben war. An der Stelle, wo der Herd gestanden hatte, züngelte eine Flamme empor. Doch sie erstickte bald. Der Sturm hatte merklich nachgelassen und etwas später begann es zu regnen.
14. Kapitel
Dies, mein lieber Volbertus, ist das Ende meiner Geschichte – und doch war es eigentlich erst ihr Anfang. Noch immer, sechs Wochen nach den erzählten Ereignissen, sind Odo und ich in dem Sachsengau zwischen Weser und Aller. Es gibt hier so viel zu tun, dass wir unsere Abreise mehrmals verschieben mussten.
Volz ist wahrscheinlich tot. Sein Leichnam wurde allerdings nicht gefunden. Vermutlich starben auch alle anderen Männer seines Gefolges unter der stürzenden Eiche, oder jedenfalls die meisten. Vielleicht lebten sie noch eine Weile unter den Trümmern, denn erst am dritten Tag gelang es den Knechten, die ersten völlig verkohlten Leichenteile hervorzuziehen. Auch drei noch Lebende wurden gefunden, ein Late und zwei Unfreie. Doch es gibt hier keinen Arzt, der schwierige Brüche richten und halb abgerissene Glieder absägen und die Wunden versorgen könnte. Die drei starben am Blutverlust und am Wundfieber. Alle, auch die nicht vollständigen, unkenntlichen Toten, wurden christlich beerdigt. Ich selbst las ihnen die Totenmesse.
Was Odo und mich betrifft, so wagte niemand, noch einmal gegen uns die Hand zu erheben. Man glaubt allgemein, dass unsere Gefangennahme die letzte Schurkerei des Volz war. Viele wollen sogar in dem Sturz der Eiche das Walten der höheren Macht sehen, die diese abscheuliche Ungerechtigkeit ahndete. Dabei ist natürlich viel Heuchelei. Wer sich davonmachte, als wir im Stallhaus gefangen lagen, behauptet nun dreist, er habe Hilfe holen und am nächsten Tag zu unserer Befreiung zurückkehren wollen. Gozbert will darauf einen heilige Eid schwören, wenn wir es fordern. Gott sei ihm gnädig!
Mit einem Eifer, der Odo und mich immer wieder verblüfft, sind Saxnots einstige Schwertgenossen uns, den Vertretern des christlichen Königs, nun behilflich, die Verhältnisse im Gau zu ordnen. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine weitere Willkürhandlung des Grafen und seiner Gefolgschaft angezeigt wird. In den Jahren der Herrschaft des Volz verlor über die Hälfte der Freien ihr Eigentum, die meisten von ihnen sanken in den Stand der Laten hinab. Für die geringste Übertretung wurde Bußgeld gefordert. Wo immer zwei Bohlen über ein Bächlein geworfen waren oder wo sich zwei Wege kreuzten, lauerten Zolleinnehmer. (Diese hatte man kurz vor unserer Ankunft im Gau wohlweislich abgezogen.) Viele Bauern wurden so lange widerrechtlich zum Heerbann aufgeboten, bis sie sich mit den teuren Ausrüstungen und durch die unausbleiblichen Ernteverluste ruiniert hatten. Man fand Eigentümer ermordet im Wald, andere verschwanden spurlos. Ich könnte noch einmal so viele Blätter füllen, wenn ich alle Einzelheiten dieses gesetzlosen Treibens aufführen wollte. Wir haben schon auf zwei gebotenen Dingen die schlimmsten Verbrechen geahndet.
Du willst nun sicher noch
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