Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
Stunde. Es ist nicht gut zu gehen und führt steil rauf und runter am Bach.«
»Sie dürfen sich vom Gegenanwalt in diesen Punkten nicht durcheinanderbringen lassen, Mrs. Grimethorpe, denn er wird zu beweisen versuchen, daß der Herzog Zeit genug hatte, Cathcart zu töten, entweder bevor er zu Ihnen ging oder nachdem er zurückgekommen war, und wenn wir zugeben, daß es im Leben des Herzogs etwas gab, was er geheimhalten wollte, liefern wir dem Anklagevertreter genau das, was ihm noch fehlt – das Motiv, um jemanden zu ermorden, der ihm auf die Schliche gekommen war.«
Es herrschte betroffene Stille.
»Darf ich fragen, gnädige Frau«, sagte Sir Impey, »ob irgend jemand einen Verdacht hatte?«
»Ja, mein Mann«, antwortete sie heiser. »Ich bin ganz sicher. Er hat es immer gewußt. Aber er konnte nichts beweisen. In dieser Nacht –«
»Welcher Nacht?«
»In der Mordnacht – da hatte er mir eine Falle gestellt. Er ist in der Nacht aus Stapley zurückgekommen, um uns auf frischer Tat zu ertappen und zu ermorden. Aber er hatte zuviel getrunken, bevor er losfuhr, und hat die ganze Nacht im Graben gelegen, sonst müßten Sie sich jetzt auch mit Geralds und meinem Tod befassen, nicht nur mit dem andern.«
Es versetzte Mary einen sonderbaren Schock, so von ihrem Bruder sprechen zu hören – von dieser Frau und in dieser Gesellschaft. Sie fragte plötzlich aus blauem Himmel heraus: »Ist Mr. Parker nicht hier?«
»Nein, meine Liebe«, antwortete Mr. Murbles mit mildem Vorwurf, »das ist keine Sache für die Polizei.«
»Das beste ist, glaube ich«, sagte Sir Impey, »wir präsentieren dieses Alibi und sorgen nötigenfalls für den Schutz dieser Dame. Inzwischen –«
»Sie fährt mit mir zu meiner Mutter«, erklärte Lady Mary entschieden.
»Meine liebe Lady Mary«, begehrte Mr. Murbles auf, »das wäre doch unter den gegebenen Umständen höchst unpassend. Ich glaube, Sie erfassen kaum –«
»Mutter will es so«, versetzte ihre Ladyschaft. »Bunter, rufen Sie ein Taxi.«
Mr. Murbles rang hilflos die Hände, während Sir Impey sich eher zu amüsieren schien. »Nützt nichts, Murbles«, sagte er. »Zeit und Mühen werden eine moderne junge Frau schon zähmen, aber eine moderne alte Frau ist von keiner irdischen Macht zu zügeln.«
Und so ergab es sich, daß Lady Mary vom Stadthaus der Herzoginwitwe aus Mr. Charles Parker anrief, um ihm die Neuigkeiten zu berichten.
Die beredten Toten
»Je connaissais Manon; pourquoi m'affliger tant d'un malheur que j'avais dû prévoir.«
Manon Lescaut
Der Sturm hatte sich ausgetobt, und es folgte ein wunderbar frischer Tag mit Flecken freien Himmels zwischen dicken Kumuluswolken, die sich lawinengleich in großer Höhe über luftige blaue Hänge wälzten.
Der Angeklagte hatte eine Stunde lang mit seinen Beratern gerungen, und als sie endlich in den Gerichtssaal traten, war Sir Impeys klassisches Gesicht zwischen den Locken seiner Perücke leicht gerötet.
»Und ich werde nichts sagen«, blieb der Herzog störrisch bei seiner Weigerung. »Das wäre eine Gemeinheit. Ich kann Sie wohl nicht hindern, sie aufzurufen, wenn sie selbst darauf besteht – ist ja hochanständig von ihr –, ich komme mir richtig erbärmlich vor.«
»Lassen Sie's lieber dabei«, sagte Mr. Murbles. »Macht einen guten Eindruck, wissen Sie? Lassen Sie ihn ruhig in den Zeugenstand treten und sich als vollkommener Gentleman gebärden. Das gefällt.«
Sir Impey, der bis in die frühen Morgenstunden an seinem Plädoyer herumgefeilt hatte, nickte.
Die erste Zeugin dieses Tages war eine gelinde Überraschung. Sie gab ihren Namen mit Eliza Briggs an, bekannt als Madame Brigette aus der New Bond Street, und als Beruf Schönheitsspezialistin. Sie hatte einen großen, aristokratischen Kundenkreis beiderlei Geschlechts und eine Filiale in Paris.
Der Verstorbene sei in beiden Städten seit Jahren ihr Kunde gewesen – Massage und Maniküre. Nach dem Krieg sei er wegen ein paar kleiner Narben zu ihr gekommen, die von Schrapnellsplittern stammten. Er habe überaus großen Wert auf sein Äußeres gelegt, und wenn man das bei einem Mann Eitelkeit nennen wolle, so sei er mit Sicherheit eitel gewesen. Vielen Dank. Sir Wigmore Wrinching nahm diese Zeugin erst gar nicht ins Kreuzverhör, und die edlen Lords fragten einander verwundert, was ihr Auftritt überhaupt sollte.
An diesem Punkt beugte Sir Impey Biggs sich vor, klopfte vielsagend auf seine Akte und sprach:
»Meine Lords, die Verteidigung ist sich
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