Sayers, Dorothy L. - Wimsey 14 - Feuerwerk
Tatsachen ins Auge zu sehen. Ich habe mit Mr. Plummett telefoniert, und er hat mich ermächtigt, Ihnen die Sache vorzulegen.
Wenn ich es nicht täte«, fügte Mr. Egg unumwunden hinzu, »so würde sich vielleicht ein anderer dafür finden, und das würde alles nur verschlimmern. ›Warte nicht, bis peinliche Dinge bersten; muß die Wahrheit gesagt sein, sag du sie am ersten.‹ Mein Grundsatz – aus dem Handbuch des Verkäufers. Ein bemerkenswertes Buch, voll von gesundem Menschenverstand. Apropos gesunder Menschenverstand. Etwas von dieser Ware täte unserem jungen Freund auch keinen Schaden, nicht wahr?«
»Sie meinen Raymond Whipley?« sagte der Coroner.
»Meiner Ansicht nach ist dieser junge Mann ein pathologischer Fall.«
»Da haben Sie recht, Sir«, pflichtete ihm der Inspektor bei. »Mir sind ja schon viele törichte Verbrecher unter die Augen gekommen, aber er übertrumpft sie alle. Leicht angeknackst, möchte ich sagen. Zankt sich mit seinem Vater, bringt ihn um und läuft dann in dieser höchst verdächtigen Art davon – warum hat er sich nicht gleich ein Schild umgehängt: ›Ich bin der Täter!‹ Aber wie Sie schon sagten, ist er wohl nicht ganz zurechnungsfähig.«
»Nun, das mag ja sein«, bemerkte Monty. »Aber darüber hinaus haben wir es mit dem alten Mr. Whipley zu tun. Sehen Sie, meine Herren, ich kenne alle meine Kunden recht gut. Es gehört sozusagen zu meinem Beruf, ihre Neigungen auswendig zu wissen. Es hat keinen Sinn, einen 1847er Oleroso einem Herrn anzubieten, der seinen Sherry leicht und herb liebt, oder einen Kunden, der auf ärztliche Verordnung bei Rheinwein bleiben muß, mit Gelegenheitskäufen von bestem Portwein zu quälen.
Nun erhebt sich die Frage: Wie ist der verstorbene Mr. Whipley überhaupt dazu gekommen, Pfefferminzlikör zu trinken? Er hat ihn nur für Damen bestellt. Er selbst konnte diesen Geschmack ganz und gar nicht ausstehen. Sie haben ja gehört, was er darüber zu Mr. Raymond gesagt hatte.«
»Das ist ein wichtiger Punkt«, bemerkte der Polizeichef. »Ich darf wohl erwähnen, daß uns auch schon der Gedanke gekommen ist. Aber er muß das Gift in irgendeinem Getränk genommen haben.«
»Ich meine nur, behalten Sie das im Auge – das und die Dummheit bei diesem Mord, wenn er so geschehen ist, wie die Jury annahm. Doch nun zu dieser Stanniolkapsel. Darüber kann ich Ihnen einiges sagen. Ich habe mich bei der Leichenschau nicht eingemengt, weil ich nicht alle Tatsachen beisammen hatte. Aber jetzt bin ich informiert. Wissen Sie, meine Herren, wenn an jenem Tag im Studierzimmer eine Kapsel von einer Flasche entfernt wurde, so muß eine dazugehörige Flasche existieren. Das ist doch logisch. Wo ist sie? Sie muß irgendwo sein. Flasche bleibt schließlich Flasche.
Nun, meine Herren, Mr. Whipley ist über fünfzig Jahre ein Kunde meiner Firma gewesen. Plummett & Rose ist ein altbekanntes Haus. Und Flaschen mit dieser Kapsel wurden von einer französischen Exportfirma auf den Markt gebracht, die im Jahre 1900 aufgelöst wurde. Prélatier & Cie. war der Name, und wir waren ihre Vertreter in diesem Land. Diese Kapsel gehörte nun zu einer von dieser Firma exportierten Flasche Noyeau – Sie können die letzten beiden Buchstaben noch auf dem Stempel sehen –, und wir haben am 14. Juni 1893 eine Flasche von Prélatiers Noyeau mit anderen Probeflaschen an Mr. Whipley geliefert.«
»Noyeau?« wiederholte der Coroner interessiert.
»Wie ich sehe, sagt Ihnen das etwas, Doktor.«
»Allerdings«, erwiderte der Kronrichter. »Noyeau ist ein mit Bittermandelöl oder Pfirsichkernen gewürzter Likör, Mr. Egg, und enthält infolgedessen eine geringe Menge Blausäure.«
»Ganz recht«, bestätigte Monty. »Normalerweise richtet er natürlich keinen Schaden an. Läßt man jedoch eine Flasche lange genug stehen, dann steigt das Öl an die Oberfläche, und es ist bekannt, daß das erste Glas aus einer alten Flasche Noyeau den Tod herbeiführen kann. Ich habe das in einem Buch Nahrungsmittel und Gifte gelesen, das vor einigen Jahren bei Freeman & Toplady erschienen ist.«
»Das ist ja Cedric Whipleys Firma«, warf der Inspektor ein.
»Richtig«, sagte Monty.
»Was wollen Sie damit andeuten, Mr. Egg?« erkundigte sich der Polizeichef.
»Nicht Mord, Sir«, erwiderte Monty. »Nein, das nicht – obwohl es gewissermaßen dazu hätte führen können. Ich wollte nur sagen, daß nach Mr. Raymonds Fortgang der alte Herr vielleicht etwas nervös und unruhig wurde, wie das nach einer
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