Sayuri
Erzählungen wusste sie, dass Regen Wasser war, das aus Wolken fiel, aber der Himmel war so klar wie bisher jeden Tag in ihrem Leben. Am ganzen Horizont war keines dieser weißen Gebilde zu sehen.
Aber sie brauchte Wasser, um das Feuer zu löschen. Bisher hatte sie mit dem Wasser, das sie geschaffen hatte, nur ihren eigenen Durst gelöscht, sich erfrischt oder die Pflanzen auf ihrem Dach gewässert. Noch nie hatte sie versucht, ein Feuer zu löschen.
Sayuris Hände gruben sich immer weiter in den Sand, als könnte dort unten auf dem Wüstenboden eine Antwort verborgen liegen. Mit geschlossenen Augen tastete sie in die Tiefe, spürte, wie sie mit ihren Sinnen noch viel weiter nach unten greifen konnte, und fühlte kühles Nass. Ihre Zunge leckte über die trockenen Lippen, fast schon konnte sie das Wasser schmecken.
Aber sie brauchte mehr, viel mehr. Sayuri konzentrierte sich mit aller Macht auf das Wasser in der Tiefe, dann zog sie die Hände mit einem Ruck aus dem Sand und spürte gleichzeitig, wie der Boden unter ihr erbebte.
Sie hörte den Aufschrei einer Essjiar und Shios freudiges Sirren. Wie durch Watte drangen überraschte Ausrufe aus dem Lager an ihre Ohren. Ihr Körper war schwer wie Blei, als wäre alle Kraft mit einem Schlag aus ihm gewichen.
Sie taumelte, ihr Oberkörper fiel vornüber, doch bevor sie den Sand berührte, wurde sie weich aufgefangen.
Das Rauschen wurde zu einem leisen Rieseln und erstarb dann gänzlich. Keuchend lehnte Kiyoshi sich gegen die Tunnelwand und ließ sich auf den Boden sinken, die Arme fest um das kleine Mädchen gelegt.
»Wir haben es geschafft!«, murmelte Calion verwundert.
»Jetzt kann es nicht mehr weit sein!«, sagte Kiyoshi. Seine Kehle fühlte sich trocken an, die Zunge klebte an seinem Gaumen und er konnte Blut auf seinen aufgesprungenen Lippen schmecken. Der Gedanke an Wasser war so berauschend, dass es schmerzte.
Er wusste nicht, wie lange sie gerannt waren. Er wusste auch nicht, warum er nicht aufgegeben hatte. Die Kleine in seinen Armen war schwer wie Blei gewesen und doch hatte er nicht losgelassen, irgendetwas hatte ihn vorwärtsgezogen, trotz brennender Lungen, so lange, bis das Bersten des Gesteins hinter ihnen zurückblieb und kein Sand mehr auf ihre nackten Füße fiel.
Kiyoshi hatte keine Ahnung, wie weit sie gekommen waren, aber wenigstens waren sie stetig bergauf gelaufen.
»Es wird heller!« Das war Calions aufgeregte Stimme. »Dort oben ist der Ausgang!«
Kiyoshi spähte nach vorn. Es war eher die Ahnung eines Lichts, aber Calion hatte recht – dort oben schimmerte etwas.
»Los!«, rief er, als die Erde unter ihren Füßen abermals erbebte.
»Nicht schon wieder«, flüsterte das Mädchen mit den Locken und Kiyoshi stimmte ihr stumm zu. Nicht so kurz vor dem Ziel!
»Weiter«, befahl Calion mit zitternder Stimme.
Sie rannten los.
»Wasser«, murmelte die Kleine in seinem Arm. Ihr Kopf lehnte gegen seine Schulter.
»Wir haben alle Durst, Kleine«, keuchte er. »Wenn wir oben sind …«
»Nein, Wasser«, widerholte das Mädchen ein wenig lauter. »Da!« Verwirrt blieb er stehen. Sie streckte ihre Hand aus und deutete über seine Schulter. Und in diesem Moment spürte er auch schon etwas Kaltes an seinen Füßen. Fassungslos starrte er auf den Boden. »Wasser«, wiederholte er ungläubig und warf Thesu und Calion, die auch stehen geblieben waren, einen verblüfften Blick zu. Doch plötzlich kam Bewegung in ihn. Er setzte das Mädchen ab, ließ sich auf die Knie fallen und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser.
»Wasser«, jubelte Thesu.
»Wasser.« Das kleine Mädchen strahlte übers ganze Gesicht.
Wasser, dachte Kiyoshi dankbar.
Das kühle Nass rann seine wunde Kehle hinab und erfüllte ihn wieder mit neuem Leben. Gierig tranken sie, bis Calion plötzlich mit einem leisen Aufschrei innehielt.
»Es steigt! Das Wasser reicht mir schon bis zu den Knien!«, rief er ungläubig.
»Heißt das, wir ertrinken jetzt in der Wüste?«, fragte Thesu und riss die Augen auf.
»Raus hier«, befahl Kiyoshi. »Los doch!«
Wieder hob er das Mädchen an seiner Seite hoch. Sofort spürte er das zusätzliche Gewicht ihrer vollgesogenen Kleidung. Mit einem Platschen tauchte Thesu in das kühle Nass ein und begann zu schwimmen. Calion und seine Freundin wateten keuchend, bis auch sie die Strömung in die Knie zwang. Kiyoshi war der Einzige, der noch laufen konnte.
Verbissen kämpfte er sich Schritt für Schritt voran, in der Hand ihre einzige Lampe. Wo
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