Sayuri
wäre sie gerade eine weite Strecke gelaufen. »Deine Zentauren sind wo?«, fragte sie mit leiser Stimme. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut.
»Im Wald. Sie holen Vorräte«, antwortete Quouran mit einem knappen Blick zu Mouran, der dies bestätigte. »Keiner hat nach unserem Sieg gestern mit einem so plötzlichen Angriff gerechnet«, fügte er hinzu.
Kiyoshi dachte mit einem Schaudern an das Gefecht mit den Echsenreitern zurück. Es war noch gar nicht lange her. Wieder erlebte er den Moment mit, als sich die Echse direkt auf ihn und Milan gestürzt hatte. Erst in letzter Sekunde war es ihm gelungen, dem Biest sein Schwert in den Hals zu stoßen, gerade als es mit seinem riesigen Maul hatte zuschnappen wollen. Danach hatte der Kampf nicht mehr lange gedauert. Die Zentauren und die Menschen hatten die Echsen mit vereinten Kräften besiegen können.
Aber vielleicht war es gerade dieser leichte Sieg, der sie hatte unvorsichtig werden lassen. Denn die meisten Zentauren waren unterwegs in den Wald, Früchte und Wurzeln für die Menschen holen. Nur die sechs Anführer der Zentauren waren im Lager geblieben und zehn Wächter, die sie auf den umliegenden Dünenhängen postiert hatten.
»Sie sind hinter Sayuri her«, stieß Yuuka fauchend hervor und ihre Augen blitzten vor Wut.
Unwillkürlich wich Kiyoshi einen Schritt zurück und wechselte einen sorgenvollen Blick mit Marje.
»Sie wird noch in Milans Zelt sein«, wisperte sie. »Suieen wird auf sie aufpassen.« Dann wandte sie sich an Yuuka. »Wie viele sind es?«, fragte sie.
»Hundert?«, knurrte Yuuka ungehalten. »Zweihundert? Es war keine Zeit, sie zu zählen!«
Kiyoshis Mut sank.
Der Ruf eines fremden Horns erklang und im Lager breitete sich eine unwirkliche Stille aus. Die Menschen, die nach und nach aus ihren Zelten gekrochen waren, hielten erstarrt inne, unsicher, was der Klang zu bedeuten hatte.
Nur Kiyoshi kannte den Ruf und nur mit Mühe konnte er ein Stöhnen unterdrücken. Fast wünschte er, es wären die Söldner gewesen. Denn das Horn hatte das Angriffszeichen der Soldaten des Kaisers verkündet.
»Sie sind hier«, stellte Yuuka fest. In diesem Moment sackte einer der Wächter auf dem Dünenkamm, der im Lichtschein eines Feuers kaum mehr als ein düsterer Schatten war, lautlos in sich zusammen.
Kiyoshi hörte ein sirrendes Geräusch.
Pfeile!
»Löscht die Feuer«, befahl er.
»Löscht die Feuer«, wiederholte Milan mit klarer Stimme, als kaum jemand reagierte.
Bewegung kam im Lager auf, Sand wurde über die Glut geschüttet und wieder klirrten Waffen und wurden Schwerter gezogen. Leises Geflüster und Raunen brandete auf, ein paar der jüngeren Kinder fingen zu weinen an.
Die Zentauren scharten sich um ihren Herrscher. Jouoran zog seinen Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne, wobei er das Gesicht vor Schmerzen verzog. Über seine Brust zog sich ein frischer weißer Verband, eine Erinnerung an das Gefecht, das noch keinen ganzen Tag zurücklag.
Bei dem Gedanken, dass die Zentauren so grimmig entschlossen waren, das Lager zu verteidigen und dabei ihr Leben zu lassen, zog sich Kiyoshis Herz zusammen. Es erschien ihm so falsch. Sie hatten nichts mit den Konflikten, die die Menschen untereinander ausfochten, zu tun. Nichts mit Kiyoshis Entscheidung, sich von Miro und dem Kaiser abzuwenden. Bereits im Gefecht mit den Echsen waren einige von ihnen schwer verwundet und zwei getötet worden.
Und doch sah er auch die Freude und den Stolz in Jouorans Augen, seine Kampfkraft erneut unter Beweis stellen zu dürfen. Er betrachtete es als Ehre, im Kampf zu bestehen und sterben zu dürfen.
So oder so konnten sie auf die Hilfe der Zentauren nicht verzichten. Die meisten im Lager waren noch zu geschwächt von der Arbeit in den Minen und ihrer Flucht vor dem Wasser, als dass sie ein neues Gefecht hätten überstehen können.
Geübten Kämpfern würden sie nicht lange die Stirn bieten können. Am liebsten hätte er ihnen allen zugerufen, sie sollten fliehen, aber es gab keinen Ort, der ihnen Schutz geboten hätte. Der Wald lag hinter dem Hang, an dem nun die ersten Angreifer erschienen.
Jouoran ließ den Pfeil von der Sehne schnellen und griff gleich nach dem nächsten, noch bevor das Pferd des Soldaten, das er getroffen hatte, langsam einknicken und zu Boden fallen konnte. Die anderen Tiere scheuten und ließen sich nur mit Mühe von ihren Reitern ruhig halten.
Inzwischen hatten sich die Soldaten mit ihren Pferden auf dem Dünenkamm aufgebaut.
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