Sayuri
Es ist das Unbekannte, was euch Menschen nur zu oft Angst einjagt.«
»Sayuri hat keinerlei Interesse daran, irgendjemandem zu schaden. Schließlich hat sie bisher dafür gelebt, anderen Menschen zu helfen und sie zu heilen«, sagte Milan und Marje nickte zustimmend.
»Der Gedanke ist völlig absurd!«, bekräftigte sie die Worte ihres Bruders und warf Kiyoshi einen fragenden Blick zu.
»Ihr habt recht«, sagte Kiyoshi schließlich zögernd. »Sayuri würde niemandem mit Absicht schaden.« Einmal atmete er tief ein, legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel auf, der von den Strahlen der aufgehenden Sonne in ein blasses Rosa getaucht war. »Was tun wir hier eigentlich?« Er hob beide Hände an die Schläfen. »Ich verstehe das Ganze einfach nicht«, murmelte er leise vor sich hin.
Marje ging zu ihm und legte vorsichtig einen Arm um seine Schultern. Sie fühlte seine Erschöpfung, als wäre es ihre eigene.
Noch immer wussten sie nicht, wer Sayuri wirklich war. Sie wussten nicht, woher sie kam und was sie zu tun vermochte.
Kiyoshi legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. Dann ging er in die Knie und malte mehrere Linien in den Sand. »Der Kaiser«, murmelte er leise, zog einen Strich von dem kleinen Kreis zu einem weiteren Kreis und tippte nachdenklich mit dem Finger darauf. »Miro.«
Marje ließ sich neben ihm in den Sand fallen. Neugierig sah sie ihm dabei zu, wie er weitere Linien malte. »Meine Mutter«, sagte er. »Mein verstorbener Vater.« Er zeichnete einen weiteren Kreis und zog eine Linie zu seinen Eltern. »Ich.«
»Aber wie passt Sayuri in dieses Bild? Gibt es da überhaupt eine Verbindung? Und wenn ja, warum?«
Kiyoshi verzog das Gesicht und betrachtete die Kreise im Sand. »
Du weißt es nicht.« Marje hörte den Spott in Milans Stimme, auch wenn er sich bemühte, ihn zu unterdrücken.
»Was weißt du eigentlich überhaupt über deine Familie?« Der kleine Thesu, Kiyoshis Schatten, gesellte sich zu ihnen, doch er zog sich schnell wieder zurück, als sein Blick auf Kiyoshi fiel.
Und auch Marje zuckte zusammen. Kiyoshis Miene hatte sich verhärtet. Er stand mit einem Ruck auf, verwischte die Linien im Sand mit dem Fuß und entfernte sich mit schnellen Schritten.
Marje warf Milan und Thesu einen wütenden Blick zu, bevor sie Kiyoshi nachlief. »Kiyoshi, warte«, rief sie ihm nach.
Mit einer abwehrenden Bewegung wandte er sich wieder um.
Marje griff nach seinen Händen. Atemlos sah sie ihn an. Seine Augen erinnerten sie an ein gehetztes Tier, das man in die Enge getrieben hatte. Da lag so viel in seinem Blick – Schmerz, Trauer, Unsicherheit und Angst.
»Ich weiß nicht mehr, was falsch und was richtig ist. Ich weiß nicht, was oder wem ich noch glauben soll«, erklärte er hilflos. »Soll ich Yuuka vertrauen? Hat Miro mich wirklich immer angelogen? Gibt es tatsächlich ein Geheimnis in meiner Familie, das er mir verschwiegen hat?« Sein Blick glitt zu der Düne, hinter der vereinzelt dünne Rauchschwaden aufstiegen. Dort verbrannten die Zentauren die Leichen.
Marje meinte, den widerlich beißenden Geruch selbst hier noch zu riechen, auch wenn die Zentauren weit weg waren. Die Erinnerung an die vertrockneten, ausgedörrten Körper jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Sie konnte diesen grauenvollen Anblick kaum mit Sayuri in Verbindung bringen – und doch waren es ihre magischen Kräfte gewesen, die dem Feind den Tod gebracht hatten.
Marje schluckte. »All das hier – das darf nicht umsonst gewesen sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen in die Stadt zurück«, sagte sie. »Um Sayuri willen«, sie hob den Blick und sah ihm in die Augen, »wie um deinetwillen.« Sie griff nach seiner Hand. »Wir werden Miro zur Rede stellen. Und dann wirst du alles erfahren, was du wissen musst. Wenn Yuuka recht hat, dann muss es jemanden geben, der deinen Onkel aufhält. Kiyoshi, jemand muss ihn daran hindern, weiter die Stadt nach seinem Gutdünken zu regieren.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Du musst ihn aufhalten.«
Er schaute sie an und sein Blick blieb lange an ihr hängen.
In seinen Augen spiegelte sich noch immer Verzweiflung wider, doch da war ein Funkeln, das den Kampf gegen die Mutlosigkeit gewann. Schließlich drückte er Marjes Hand und führte sie wortlos zurück zum Zelt, wo die anderen schon auf sie warteten.
Er warf einen Blick auf Sayuri, die noch immer tief schlief.
Milan schaute ihn fragend an. »Es liegt bei dir«, sagte er leise und diesmal lag
Weitere Kostenlose Bücher