Sayuri
sich in tiefes Schweigen.
Suieen legte seine Hand auf die Federn zwischen den beiden Augen des Greifs und kraulte die Stirn des mächtigen Tieres, das genüsslich die Augen schloss. Sie kannten einander schon lange. Suieen konnte sich an die ersten Flugversuche des Greifs erinnern und dieser war auch bei seinem ersten Raubzug dabei gewesen. Das Vertrauen, das sie zueinander gefasst hatten, war selten zwischen einem Greif und einem Wesen anderer Art zu finden. Suieen konnte immer auf seine Hilfe zählen, was in dieser Wüste mehr wert war als Taschen voll Gold.
Jetzt trat der Greif einen Schritt zurück, stellte sich auf die Hinterbeine, breitete die Flügel aus und setzte mit einem kraftvollen Sprung ab. Mit ausgebreiteten Flügeln ließ er sich ein Stück vom Wind tragen, bevor er wieder kräftig mit den Flügeln schlug und sich majestätisch in den Himmel erhob.
Suieen sah ihm nach. Er wusste nicht, wann er ihn wiedersehen würde. Greifenherden konnten wochenlang an einem Ort bleiben und dann binnen weniger Tage meilenweit reisen. Meistens hielten sie sich fern von Menschensiedlungen und mieden insbesondere die große Stadt, in der sich die Menschen wie Ratten zusammenscharten.
Suieen konnte sich nicht vorstellen, wie so viele Menschen über- und nebeneinander in Häusern aus Stein leben konnten, ohne zu reisen, ohne sich nach dem Wind zu richten, eigene Herden zu hüten oder Äcker zu bestellen, wie es die Bauern um die Stadt herum taten. Kaiserstadt nannten die Bauern die Stadt ehrfürchtig. Suieen fand sie unangenehm laut und voll.
Geduldig wartete er, bis das leise Geräusch von knirschenden Steinen unter schweren Schritten Yuukas Kommen ankündigte. Die Raubkatze ließ sich in einigem Abstand zu ihm nieder und begann, ihr Kalb zu verspeisen. Suieen ignorierte die schmatzenden Geräusche, das Reißen und Knacken, wenn Sehnen durchtrennt und Knochen zerbissen wurden, und begann ebenfalls, sein Abendbrot zu verzehren.
Sein Blick schweifte in die Ferne. Am Horizont konnte er die Stadt erkennen, die sich aus dem Sand erhob. Wie ein Wächter thronte Turu über ihr. Lauryn hatte sich bereits weit über die Stadt erhoben und tauchte die Wüste in sein sanftes blaues Licht. Die Welt wirkte, als hätte jemand eine Decke über ihr ausgebreitet. Aber die friedliche Stille trog.
Suieens Blick streifte die nördlichsten Bauernhöfe und schweifte zu den dunklen Wäldern, die sich zwischen den Dünen erstreckten. Früher, so erzählte man, waren sie grüne Orte, Oasen des Lebens gewesen. Jetzt waren sie düster. Die wenigen Bäume, die noch dort wuchsen, hatten lange Wurzeln, die tief in den Boden reichten. Ihre Äste waren knorrig, ihre wenigen Blätter ledrig hart. Bis auf Irrlichter und Zentauren hatten alle Lebewesen diesen Wald verlassen.
Suieen sah zu seiner Gefährtin, die ihr blutiges Mahl gerade beendete und den Kalbskadaver im Sand verscharrte. Ihre lange Zunge leckte über die Schnauze, dann wandte sie sich ihm zu. Ihre gelben Augen strahlten vor satter Zufriedenheit. Mit einem Schnurren ließ sie sich neben ihm nieder, so nah, dass er ihre Wärme spüren konnte, und dankbar lehnte er sich gegen ihr weiches sandfarbenes Fell. Ihre Schwänze legten sich um sie herum, wie ein schützender Ring umschlossen sie ihren Lagerplatz und Yuuka streckte die Pfoten aus, um den Kopf zum Schlafen darauf zu betten.
Gedankenverloren kraulte Suieen sie hinter den großen Katzenohren und sie schnurrte leise. Während sie die Augen schloss und in einen Halbschlaf sank, schweifte sein Blick nach Süden und blieb an den Höfen hängen.
Früher war es einfacher gewesen, sich bei den Bauern mit Nahrung zu versorgen. Er hatte auf den Höfen aushelfen und sich hin und wieder etwas hinzuverdienen können. Nun verjagten sie ihn, sobald er nur in die Nähe ihrer Felder kam.
Mit einer Hand strich er sich die Haare aus der Stirn und entblößte seine spitzen Ohren. Ebenso wie die Ohren waren auch seine Eckzähne spitzer als die eines Menschen und seine gelben Augen wirkten nur im Schatten wie ein helles Braun. Es war kaum zu übersehen, dass er kein ganzer Mensch war – genauso wenig wie ein Shaouran. Halbblut nannten ihn die einen, Mischling die anderen. Damit ausdrücken wollten beide das Gleiche. Er gehörte nicht zu ihnen.
Und seit der Kaiser die Höfe von seinen Soldaten bewachen ließ und verkündet hatte, dass nur Menschen unter seinem Schutz standen, hatten ihn die Leute vertrieben. Da sich nun der Kaiser wieder um sie
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