Sayuri
wirklich an einem Tag einholen?«, fragte sie und dachte daran, was der Junge zu seiner Gefährtin gesagt hatte.
Suieen strich sich die Haare aus dem Gesicht und sorgte mit einem Handgriff dafür, dass sie die Spitzen seiner Ohren verdeckten. »Erst müssen wir wissen, zu welchem Lager man ihn gebracht hat«, antwortete er vage.
Sayuri blickte von ihren Händen auf und sah fragend zwischen ihnen hin und her, dann tauchte sie ihren Kopf ins Wasser und wusch sich den Staub aus dem Gesicht.
Marje fiel auf, wie genau Suieen sie bei jeder ihrer Bewegungen beobachtete. Sein Blick verriet dabei nicht, was er dachte. Die gelben Augen waren schmal und halb verborgen unter den blassen Haarsträhnen und sein Gesicht hatte so undurchsichtige Züge, dass es sie fast ein wenig an Milan erinnerte.
Der Gedanke erfüllte sie mit Schmerz. Hilflos drehte sie den Ring an ihrem Daumen und schluckte schwer. Sein Name hallte in ihr wider und hinterließ eine schmerzende Leere.
Sayuris Finger umschlossen ihre Hand, ihr Daumen strich über den Ring. Dann streckte sie sich im Sand aus und bettete ihren Kopf in Marjes Schoß. Wie ein kleines Kind, dachte Marje und spürte, wie ein trauriges Lachen in ihr aufstieg. Genauso hatte Sayuri sich an Milan gelehnt und seiner Stimme gelauscht. Stundenlang hatte er ihr Märchen und Abenteuergeschichten erzählt, ohne dass einer von beiden müde geworden wäre. Die Erinnerung ließ Tränen in ihre Augen steigen und sie spürte einen Kloß im Hals, der ihr allen Platz zum Atmen zu nehmen schien.
Sayuri umschloss ihre Hand und drückte sie sanft. Auch in ihren Augen funkelten Tränen, aber auf ihren Lippen lag schon wieder ein sanftes Lächeln.
Suieen reichte ihr eine Frucht, die sie dankbar nickend entgegennahm. Sie schmeckte süß und sauer zugleich und konnte ein wenig ihren Hunger stillen.
Der Halbmensch begann, ihre Sachen zusammenzupacken und kletterte auf einen der Felsen, um nach seiner Gefährtin Ausschau zu halten.
Marje spürte Sayuris Hand, die ihren Arm berührte, aber Suieen schüttelte leicht den Kopf. »Schone deine Kräfte«, riet er ihr. »Sonst ermüdest du zu schnell.« Sein Blick traf Marje. »Achte darauf, dass ihr nicht zu viel redet«, bat er. »Sie hat noch nicht gelernt, den Fluss ihrer Kräfte zu kontrollieren, wenn sie mit dir über eine Berührung in Verbindung tritt.«
Marje nickte entschlossen. Sie hatte nur die Hälfte verstanden, aber sie würde nichts tun, was Sayuri schaden könnte, und Suieen schien ernsthaft besorgt.
Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich halb um. »Wir sollten jetzt besser aufbrechen«, sagte er. »Yuuka wird bald zurückkehren.«
Marje griff nach Sayuris Hand und drückte sie kurz, ehe ihre Gedanken zu Kiyoshi schweiften. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch in der Wüste, als er vom Schicksal gesprochen hatte. Ihr Blick glitt in die Höhe zu Tshanils Gestirn. Das Schicksal hatte sie zu Sayuri geführt. Doch war der Preis dafür Kiyoshi gewesen?
Sie war sich immer noch nicht ganz klar, wer er eigentlich war, aber er war nie gegen sie gewesen, das hatte sie spätestens in der letzten Nacht begriffen. Ihr Herz begann zu klopfen. Er hatte sie so oft entkommen lassen, ihr sogar auf der Flucht geholfen. Er hatte ihr in der Nacht des Attentats das Leben gerettet und schließlich hatte er sich selbst geopfert – damit sie entkommen konnte.
Und sie? Was war ihr Dank dafür gewesen? Sie hatte ihn beschimpft, hatte ihm Vorwürfe gemacht!
Entschlossen biss sie die Zähne zusammen. Ich werde Kiyoshi in dieser Mine finden, schwor sie im Stillen. Und ihn befreien. Das wenigstens bin ich ihm schuldig.
Die Sonne schien durch seine Lider. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich von dem gleißenden Licht wegzudrehen, aber irgendetwas hielt ihn fest. Sein Körper fühlte sich schwer an und es erschien ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er drehte den Kopf ein kleines Stück zur Seite, aber die hellen Strahlen fielen noch immer auf seine geschlossenen Lider. Dann nahm er die Geräusche wahr. Ein dumpfes Schaben und ein feines Knirschen mischten sich in ein gleichmäßig schweres Stampfen. Schließlich drangen leise flüsternde Stimmen an seine Ohren.
Eine Hand strich über seinen Arm. Er wollte sie festhalten, aber er konnte die Hände kaum heben. Das Licht vor seinen geschlossenen Augen erlosch, als ein Schatten auf ihn fiel und ihn von der grellen Helligkeit erlöste. Dankbar sank er in einen tiefen, traumlosen Schlaf zurück.
Er wusste nicht, wie
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