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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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seine wahre Macht wie Diamanten, die aus einem Samtsäckchen geschüttet werden. Sie als Charme zu bezeichnen wäre so, als würde man einen nordpazifischen Taifun eine Brise nennen. Ein großer, gut aussehender Mann mit einer Stimme wie unterdrückter Donner kann es mit Armeen aufnehmen. Und ein großer, gut aussehender Mann mit einer Stimme wie unterdrückter Donner und diesem Lächeln kann Nationen übernehmen.
    Selbst Bashar zögert. »Wir haben Regeln«, erwidert er matt, ein letztes geblufftes Keuchen im Angesicht der Niederlage. Millionen Jahre der Evolution vereinigen sich mit dem Tsunami der Macht eines Mannes, um selbst sein tiefverwurzeltes Misstrauen zu überwinden. Sein Druckgewehr löst sich von Tygres Kinn. »Wie ist Ihr Name?« Bashar muss das »Sir« regelrecht verschlucken, das am Ende dieses Satzes hängt.
    »Tygre.«
    Das Wort rollt über die geinstete Kom-Verbindung zu allen anderen Wächtern, es hallt in den Ohren jener nach, die sich in Rufweite aufhalten, obwohl der Mann nur flüstert, es erhebt sich in die Luft wie das komprimierte Zwitschern, das von einer unscheinbaren Bodenstation ausgesandt wird, um erstaunliche orbitale Bewegungen in Gang zu setzen.
    Ein letzter Rest von Protokoll bewahrt Bashar vor der endgültigen Peinlichkeit. »Haben Sie ein Visum, Tygre?«
    »Benötige ich eins?« In seiner Stimme liegt die unendliche Geduld eines wohlwollenden Gottes.
    »Asyl«, murmelt jemand sotto voce in der Dunkelheit.
    Bashar scheint es einen langen, sich hinziehenden Moment nicht einmal zu bemerken. Dann wiederholt er das Wort wie ein Echo, als wäre es sein eigener Gedanke. »Asyl. Sie können Asyl beantragen.«
    »Ich beantrage Asyl.« Der sanfte Humor in Tygres Stimme könnte einen Stein zum Lächeln bringen.

    Auszug aus einem Bericht des Sicherheitssubkomitees an die Bürgerexekutive, ursprünglich kurz nach Tygres Ankunft in Cascadiopolis formuliert:
    Eine oberflächliche Analyse der Tätigkeitsprotokolle anlässlich der ersten Infiltration zeigt, dass praktisch jeder Wächter an den südlichen Hängen behauptet, Tygre persönlich gesehen zu haben, als er in unser Territorium eindrang. Das ist offensichtlich unmöglich, da die Standorte der Wächter in jener Nacht recht genau dem Plan entsprechen, wie die Zeit- und Positionsdaten der Kom-Einheiten beweisen.
    Erwartungsgemäß weichen die Beschreibungen, die sich in diesen Tätigkeitsberichten finden, stark voneinander ab. Mindestens drei Wächter, im Besonderen Alpha-7, Alpha-10 und Gamma-3, behaupten, Tygres Haut hätte im Mondlicht Streifen aufgewiesen. Da der erste Kontakt mit Alpha-5 stattfand und Bashar daraufhin innerhalb des freien Schussfeldes von Alpha-5 intervenierte, ist es ausgeschlossen, dass irgendein Gamma-Wächter Zeuge der Begegnung wurde, und höchst zweifelhaft, dass Alpha-10 mehr als schattenhafte Umrisse erkennen konnte.
    Doch die Tätigkeitsberichte weisen die Intensität und Überzeugungskraft von Augenzeugenberichten auf. Offensichtlich glaubten all diese Wächter, Tygre gesehen zu haben.
    Bürgerin Cole hat die Theorie einer Massenhalluzination vorgebracht, die durch biologische, chemische oder pharmakologische Wirkstoffe ausgelöst wurde. Doch sie hat keine Erklärung für die Art und Weise der Verabreichung. Bürger Lain hat über mehrere Personen in Tarnanzügen oder mit sonstiger Ausrüstung zur Reduktion der Sichtbarkeit spekuliert, in Kombination mit der »Macht der Suggestion«.
    Die Ansicht dieser Behörde lautet, dass zwar kein abschließendes Urteil über die Einzelheiten dieser Angelegenheit gefällt werden kann, aber abgesehen von dem, was Bashar in seinem Bericht dokumentiert hat, offensichtlich keine nennenswerte Verletzung der Sicherheit stattfand. Einerseits möchten wir die Zeugenaussagen so vieler Wächter nicht einfach als pure Fantasie abtun, andererseits lässt sich aber auch keine plausiblere Erklärung finden. Einstweilen wird Tygre weiterhin sorgfältig beobachtet, wie es seit seiner Ankunft in der Stadt geschieht.

    Cascadiopolis empfängt Tygre mit feuchten, bemoosten Armen, die bei Nacht wie eine beliebige felsige Waldregion aussehen. Er betritt die Stadt lautlos wie Nebel, der vom Fluss aufsteigt. Er folgt Bashar, der die Vorhut einer Patrouille übernommen hat, die der Sicherheitschef nie für möglich gehalten hätte.
    Gefangene, die nicht kurzerhand exekutiert werden, müssen dem Evaluationssubkomitee überstellt werden. Dieses Gremium setzt sich aus Spezialisten ähnlich wie

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