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Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman

Titel: Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Baraldi
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nicht da … Was sind wir für eine tolle Familie!« Sie bricht schluchzend ab.
    Papa legt einen Arm um sie, aber sie schüttelt ihn mit einer brüsken Bewegung ab.
    So bleiben wir jeder für sich allein, wie Schiffbrüchige auf dem weiten Ozean der eigenen Unzulänglichkeiten. Jeder trägt schwer an der Last seiner Schuldgefühle. Jeder kämpft mit seinen eigenen Gespenstern.
    Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit erscheint, kommt eine Schwester aus dem OP. »Der Oberarzt ist in wenigen Minuten bei Ihnen.«
    Ein großer Mann mit breiten Schultern nähert sich uns, der grüne Mundschutz hängt noch vor seinem Gesicht. »Sind Sie die Eltern?«
    Sie nicken.
    »Wir haben alles getan, was wir konnten …«
    »Er kommt doch durch, nicht wahr, Herr Doktor? Sagen Sie mir, dass Marco außer Gefahr ist!« In Mamas Stimme liegt die pure Verzweiflung.
    »Die innere Blutung ist gestoppt. Doch der Kleine hat ein schweres Schädeltrauma erlitten. Sie müssen jetzt stark sein …«
    »Was heißt das? Warum müssen wir stark sein? Ich möchte meinen Sohn sehen!« Mama springt auf.
    »Im Moment ist das nicht möglich. Wir bereiten gerade das Zimmer für ihn vor. Einer von Ihnen darf diese Nacht bei ihm bleiben. Der Junge liegt im Koma, und sein Zustand ist ernst. Jetzt können wir nur noch abwarten … und hoffen.«
    »Er wird doch wieder aufwachen, nicht wahr?«, frage ich.
    »Er ist ein kräftiger Junge. Ich rate Ihnen allen, jetzt erst einmal nach Hause zu gehen und sich ein wenig auszuruhen. Marco hat hier alles, was er braucht. Sobald es Neuigkeiten gibt, werden wir Sie anrufen.«
    »Ich gehe nirgendwohin!«, sagt meine Mutter.
    Der Oberarzt nickt Papa zu. Eine Krankenschwester bringt ein Glas Wasser. »Bitte, trinken Sie das. Danach fühlen Sie sich besser.«
    Ich schluchze weiter vor mich hin, meine Schuldgefühle bohren sich schmerzhaft wie Scherben in meine Haut.

75
    W ie viele Tage sind inzwischen vergangen? Im Krankenhaus scheint man in einer völlig anderen, sich endlos ausdehnenden Zeit zu leben. Selbst eine einzelne Minute kann eine Ewigkeit dauern, wenn man auf etwas wartet, das nicht geschieht. Ich möchte, dass Marco die Augen aufmacht. Jetzt!
    Ich möchte, dass er mich ansieht und mich mit seinem hellen Stimmchen begrüßt.
    Aber er bewegt sich nicht, er wirkt, als sei er in einen schweren Schlaf versunken. Von seinen Armen hängen dünne Schläuche herunter. Fühlt er Schmerzen? Er hat Spritzen immer gehasst.
    »Sobald es dir wieder gut geht, nehme ich dich ins Kino mit. Du hattest recht, der Trickfilm mit der kurzsichtigen Fledermaus ist toll. Du musst bald gesund werden, denn er wird nur noch wenige Tage im Kino laufen, sonst müssen wir warten, bis die DVD herauskommt.«
    Ich warte, dass er mir antwortet, aber … keine Reaktion. Ich streichele seine Hand und beginne zu singen:
    Kleine freche Sonne, scheine und trockne meinen Schmerz.
    Das Lied, das ich immer für ihn gesungen habe, als er noch kleiner war und sich vor dem Einschlafen fürchtete.
    Ich werd auch wieder glücklich lächeln, komm nur aus den Wolken, dann wein ich auch nicht mehr.
    Das Lied, das er für mich gesungen hat, als es mir schlecht ging.
    Kleine freche Sonne, lächle und wärme mir das Herz.
    Ich dachte, ich hätte schon all meine Tränen verbraucht. Aber jetzt rollen sie wieder herunter und brennen heiß auf meiner Haut.
    »Du bist doch schon ein großer Junge. Du kümmerst dich um mich, nicht umgekehrt … Wenn ich in meinem Zimmer verschwunden bin, um zu weinen, bist du immer unter einem Vorwand gekommen, um mich wieder aufzubauen. Und das könnte ich jetzt wirklich brauchen, weißt du? Bitte, wach auf. Lass mich nicht allein.«
    Ich fühle mich so nutzlos. Trotz aller Liebe, die ich für ihn empfinde, kann ich nichts tun. Außer Warten und Beten.
    Ich würde alles dafür geben, an seiner Stelle zu sein … Eigentlich müsste ich an diese Schläuche angeschlossen in dem Krankenhausbett liegen. Ich bin schuld, dass er hier liegt!
    Meine Achtlosigkeit ist schuld.
    Mein Egoismus ist schuld.
    All die Male, die ich nur an mich selbst und meine eigenen Probleme gedacht habe, sind schuld.
    Er wollte mich überraschen. Mir zeigen, dass er fähig ist, seine Ängste zu besiegen. Letztes Weihnachten haben wir ihm ein neues, leuchtend rotes Fahrrad geschenkt. Er hat es zärtlich berührt, hat es poliert, aber dann hat er nie den Mut gefunden, ohne Stützräder zu fahren. Wie oft habe ich ihn deswegen aufgezogen!
    Dabei bin ich

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