Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Dunkel, das seit Tagen mein Herz fest umklammert hält. Er wirkt nicht wie ein Dämon, eher wie ein tröstender Engel.
Wieder streichelt mich seine weiche Hand und wischt mir die Tränen ab.
»Er hatte mich gebeten, mit ihm ins Kino zu gehen … Bitte, Mikael, sag mir, dass er nicht sterben wird. Wenn ihm etwas zustößt, würde ich …«
»Weine nicht, ich bin hier, um dir zu helfen. Es wird alles gut.«
»Danke, dass du gekommen bist. Du weißt immer, wenn ich es wirklich brauche, dass mich jemand in den Arm nimmt. Du hast mir so gefehlt …«
»Ich war immer bei dir. Ich habe dich still aus der Entfernung beobachtet.«
»Es war ein Fehler, dass ich dich gebeten habe, mich in Ruhe zu lassen. Ohne dich habe ich mich gefühlt, als würde ich sterben. Oder vielleicht bin ich sogar gestorben und habe es nicht bemerkt. Ich liebe meinen Bruder. Er ist mein kleiner Frosch …«
Die Gedanken sprudeln ungeordnet und heftig aus mir heraus.
Mikael umfängt mich mit seinen Armen, ich kann einfach nicht aufhören zu weinen. Ich atme den Duft seiner Haut ein.
Er befreit sich sanft aus meiner Umarmung und hilft mir, mich zu setzen. Dann geht er vor mir in die Knie, sieht mir intensiv in die Augen.
Als wollte er in meinem Herzen lesen.
Er führt meine Hand an die Lippen und küsst sie. Dann steht er auf, und einen Moment lang befürchte ich, dass er jetzt geht. Aber stattdessen stellt er sich neben meinen Bruder.
Er senkt langsam die Hände, eine liegt jetzt auf Marcos Stirn und die andere auf seiner Brust.
Darauf schließt er die Augen, und ein blaues Licht überträgt sich von seinen Händen auf den Körper meines Bruders.
Ich halte den Atem an. Mikaels Gesichtszüge verzerren sich. Er scheint großen Schmerz zu empfinden und zugleich grenzenloses Mitgefühl.
Mich erfüllt eine tiefe Wärme, und ich empfinde keine Angst mehr.
Allmählich wird das blaue Licht schwächer, bis es schließlich ganz verschwindet.
Mikael ist blass, er taumelt auf unsicheren Beinen einen Schritt zurück, als hätte er eine ungeheure Anstrengung hinter sich gebracht. Ich begreife zwar nicht, was passiert ist, aber ich ahne, dass dies ein heiliger Moment war.
Jetzt sehe ich alles wie durch einen Schleier. Die Luft wirkt, als hätten tausend Kerzen gebrannt und wären alle gleichzeitig erloschen.
»Scarlett?« Die helle Kinderstimme meines Bruders.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Eine Welle des Glücks überschwemmt mich, so heftig, dass es mir den Atem raubt.
»Marco! Du bist wieder da … hier bei uns!« Und ich umarme ihn. Ich küsse ihn auf die Wangen, ich bade ihn in meinen Tränen.
»Warum weinst du?«, fragt er.
»Weil ich glücklich bin. Ich hab dich so lieb, Marco.«
»Ich dich doch auch, aber lass das … ich bin doch kein Mädchen!«
Ich lache und weine gleichzeitig. Noch einmal sage ich ihm, wie gern ich ihn habe, dann drehe ich mich um und will Mikael danken.
Er ist nicht mehr da.
Ich laufe zum Fenster. Dort ist nur die Nacht. Aber sie ist nicht mehr ganz so dunkel.
»Ich liebe dich«, sage ich leise.
77
P apa und ich stehen auf dem Gang, der zu Marcos Zimmer führt. Mama ist bei ihm, sie liest ihm ein Märchen vor, was sie, soweit ich weiß, noch nie getan hat.
»Die Ärzte sprechen von einem Wunder. Marco ist außer Gefahr, und wenn man bedenkt, dass er bis gestern … Sie haben zugegeben, dass sie uns nicht bis in alle Einzelheiten erklärt haben, wie ernst seine Lage war. Ich glaube, sie haben so etwas nicht erwartet.«
»Ein Wunder«, sage ich leise. Das verdanke ich Mikael. Er hat das Leben meines Bruders gerettet und mir meins zurückgegeben. Dank ihm habe ich eine zweite Chance als ältere Schwester bekommen. Sobald er aus dem Krankenhaus kommt, werde ich mit dem kleinen Frosch ins Kino gehen. Ich werde ihm beim Fahrradfahren zusehen und ihn zu dem verlassenen Turm begleiten.
»Meine Kleine, du kannst jetzt nach Hause gehen. Das war eine lange Nacht. Wir werden jetzt langsam wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren.« Papa gibt mir einen liebevollen Klaps auf die Wange.
»Wann können wir ihn nach Hause mitnehmen?«
»Das wird noch ein paar Tage dauern. Sie müssen noch einige Untersuchungen durchführen.«
Ich trete in die Tür. »Tschüs, kleiner Frosch. Wir sehen uns später. Du bist ja in guten Händen.«
Ich zwinkere ihm zu, er streckt mir seine Arme entgegen.
Ich laufe zu ihm und umarme ihn ganz fest. »Du hast mir gefehlt«, flüstere ich.
»Du bist jetzt so lieb zu mir.
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