Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
genau das will ich jetzt. Ich will sie verletzen, so wie sie mich verletzt hat.
Meine Gesichtshaut brennt. Mein Blick ist eine einzige Anklage. Simona sieht zu Boden. »Das wollte ich nicht …«, ruft sie mir hinterher.
Ich ziehe mich in mein Zimmer zurück, wo ich endlich weinen kann.
42
D en Kopf gesenkt, die Hände zu Fäusten geballt – wenn der Tag schon so beginnt! Ich verlasse das Haus mit versteinertem Herzen. Beim gestrigen Abendessen herrschte eine arktische Atmosphäre. Ich habe stumm gegessen und war froh, als ich den schneidenden Blicken und stummen Anklagen wieder entfliehen konnte. Nach dem, was passiert ist, haben Simona und ich nicht mehr miteinander gesprochen. Das Thema ist durch, da gibt es nichts hinzuzufügen.
Sie versucht gar nicht erst, sich in mich hineinzuversetzen, sondern beschränkt sich darauf, Befehle zu geben und andere zu verurteilen. Ich halte das nicht mehr aus. Ihre ständige Nervosität, die Unzufriedenheit, die immer wieder hinter ihrer Maske einer Vorzeigemutter hervorkommt. Was ich zu ihr gesagt habe, tut mir leid, aber gestern war ein so schwieriger Tag. Ein Tag, den man am besten schleunigst vergessen sollte, wäre da nicht Mikael gewesen. Und sie konnte das nicht verstehen. Sie hat mich nur herumkommandiert: Lass dich nicht mitnehmen, setz dich hin, iss am Tisch, hör mir zu … Es reicht! Auszeit! Ich muss auch mal durchatmen können. Ich habe meinen besten Freund verloren, und es macht mir Angst, dass die ganze übrige Welt ihn anscheinend vergessen und die Geheimnisse um seinen Tod mit ihm begraben will.
Es ist noch kein Datum für die Beerdigung festgesetzt worden. Ich muss an seine Frau denken, an ihren Schmerz. Ob sie wohl Kinder hatten? Sicher würden die auch lieber einen Schlussstrich unter die wilden Spekulationen in der Presse ziehen und in Frieden um ihn trauern.
Ich sehe auf, entspanne die Fäuste und lockere meine angespannte Verteidigungshaltung. Nur ein paar Meter vor mir steht Mikael neben seinem schwarzen Motorrad. Ich lächle. Trotz der Entfernung zwischen uns überraschen mich seine Augen wie die sanfteste Streicheleinheit der Welt. Ich kann mich gerade noch bremsen, nicht wie ein Kind auf ihn zuzurennen.
»Hallo! Was machst du denn hier?«
»Ich war gerade in der Gegend.«
Er hält mir den Helm hin, und ich nehme ihn entschieden aus seinen Händen. »Diesmal setze ich ihn mir selbst auf.« Er lässt mich machen, aber ob es an seinem spöttischen Lächeln liegt, an seinen verführerischen Eisaugen oder vielleicht einfach nur daran, dass ich so ungeschickt bin, jedenfalls schaffe ich es nicht, ihn zuzumachen.
»Wenn du rechtzeitig in der Schule sein willst, überlässt du das besser mir.«
Ich grummele, aber dann gebe ich mich doch in seine erfahrenen Hände. Da, fertig, er braucht nur einen Moment.
Seine weichen Lippen ziehen sich besorgt zusammen: »Scarlett, bitte, nach dem, was deinem Freund Edoardo passiert ist, musst du wirklich gut auf dich aufpassen.«
»Was meinst du damit?«
»Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst …«
»Bist du deshalb vorbeigekommen, um mich abzuholen? Weißt du etwa mehr als ich?«
»Eins weiß ich mit Sicherheit: Wenn wir uns jetzt nicht beeilen, kommen wir zu spät, also spring auf und halt dich an mir fest.«
Gehorsam steige ich auf und umklammere ihn. Warum ist der Weg zur Schule nur so kurz? Ich würde mich so gern noch ein bisschen an ihn schmiegen, sagen wir mal, mindestens für die nächsten paar Stunden?
Jetzt, da ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass er ein paar Hundert Meter von unserem Haus entfernt geparkt hat, als wüsste er von dem Streit zwischen meiner Mutter und mir. Jedes Mal scheint er in meinem Innersten zu lesen. Und warum reitet er ständig darauf herum, dass ich aufpassen soll? Verbirgt er etwas vor mir? Ganz zu schweigen von den vielen Gelegenheiten, bei denen er aus dem Nichts vor mir aufgetaucht ist, und den Dingen, die ich ihm nicht sage, aber die er zu wissen scheint. Oh Mann, anstatt wild herumzuspekulieren, sollte ich lieber diese Umarmung genießen!
Als hätte jemand unsere Ankunft auf dem Schulhof groß angekündigt, hat sich die gesamte Schule hier versammelt. Ich fühle jeden einzelnen Blick auf mir lasten. Eifersüchtige Augen, aufmerksame, neidische oder erstaunte, ungläubige oder bewundernde, alle sind auf uns gerichtet!
Und da ist Umberto. Er wirkt enttäuscht, vielleicht sogar wütend. Lavinia und Sofia stehen vor dem Eingang und
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