Scarpetta Factor
mit der einen Hand noch einmal an. In der anderen hatte er den Anglerkoffer, der seine Ausrüstung enthielt. »Komisch, um fünf Uhr morgens fernzusehen. Carley?«, versuchte er es wieder. »Aufmachen, Polizei!« Er winkte Scarpetta von der Tür weg. »Vergiss es«, meinte er. »Die lässt uns nicht rein. Dann also auf die harte Tour.«
Er nahm sein BlackBerry aus dem Etui und musste zuerst sein Passwort eintippen, was Scarpetta an das Durcheinander erinnerte, das sie angerichtet hatte. Die traurige Wahrheit war, dass sie jetzt nicht hier warten würden, wenn Lucy nicht etwas Schreckliches getan hätte. Ihre Nichte hatte einen Server eingerichtet, die neuen Hightech-Telefone nur als Ablenkungsmanöver verschenkt und sie alle benutzt und getäuscht. Scarpetta hatte Mitleid mit Berger, mit sich selbst und mit den anderen. Marino wählte die Nummer auf der Visitenkarte, die der Nachtportier ihm gerade gegeben hatte, und ging mit Scarpetta zum Aufzug. Da sie annahmen, dass Carley sich in ihrem Zimmer aufhielt und wach war, wollten sie nicht von ihr belauscht werden.
»Ja, Sie müssen raufkommen«, sprach Marino ins Telefon. »Nein. Ich habe laut genug geklopft, um die Toten aufzuwecken.« Eine Pause. »Mag sein, aber der Fernseher läuft. Wirklich. Gut zu wissen.« Er beendete das Telefonat und wandte sich an Scarpetta. »Offenbar gab es ein Problem, weil sie so laut ferngesehen hat, dass die anderen Gäste sich beschwert haben.«
»Das ist aber seltsam.«
»Könnte Carley schwerhörig sein?«
»Ich habe nichts davon bemerkt. Glaube nicht.«
Am anderen Ende des Flurs neben dem Aufzug öffnete er eine Tür, über der ein leuchtendes Schild mit der Aufschrift Ausgang hing.
»Wenn man das Hotel verlassen will, ohne durch die Vorhalle zu müssen, kann man die Treppe nehmen. Doch rein kommt man nur mit dem Aufzug«, stellte er fest, hielt die Tür auf und blickte die Betonstufen hinunter. »Aus Gründen der Sicherheit kann man das Treppenhaus von der Straße aus nicht betreten.«
»Soll das heißen, Carley war letzte Nacht spätabends hier und ist über die Treppe verschwunden, weil sie unbemerkt bleiben wollte?« Scarpetta fand das höchst sonderbar.
Carley mit ihren hochhackigen Schuhen und den engen Röcken gehörte ihrer Ansicht nach nicht zu den Menschen, die Treppen stiegen oder sich sonst körperlich anstrengten, wenn es sich vermeiden ließ.
»Sie hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie hier wohnt«, fügte Scarpetta hinzu. »Was ebenfalls seltsam ist. Wenn man weiß, dass sie hier ist, oder sich, so wie ich, fragt, wo sie sein könnte, braucht man nur anzurufen und sich mit ihrem Zimmer verbinden zu lassen. Die meisten Prominenten tragen sich nicht ein, um zu verhindern, dass jemand ihre Privatsphäre stört. In diesem Hotel ist man es gewohnt, prominente Gäste zu beherbergen. Seit den Zwanzigern erfreut es sich bei den Reichen und Berühmten großer Beliebtheit.«
»Welche Berühmtheiten sind denn schon hier abgestiegen?« Er stellte seinen Ausrüstungskoffer auf den Teppich. Scarpetta erwiderte, ihr fiele nur ein, dass Tennessee Williams 1983 im Hotel Elysée gestorben sei. Er sei an einem Kronkorken erstickt.
»Ich hätte mir denken können, dass du weißt, wer in diesem Laden den Löffel abgegeben hat«, antwortete Marino. »Carley ist nicht berühmt genug für die Liste der Promis, die hier übernachtet haben oder umgekommen sind. Schließlich ist sie keine Diane Sawyer oder Anna Nicole Smith. Die meisten würden sie auf der Straße gar nicht erkennen. Ich muss mir überlegen, wie wir am besten weitermachen.«
Beim Nachdenken lehnte er sich an die Wand. Er trug noch dieselben Sachen wie vor etwa sechs Stunden, als Scarpetta ihn zuletzt gesehen hatte. Sein Gesicht war mit Bartstoppeln bedeckt.
»Berger sagt, sie könnte mir in knapp zwei Stunden einen Durchsuchungsbeschluss bringen lassen.« Er schaute auf die Uhr. »Vor einer knappen Stunde habe ich mit ihr telefoniert. Also wird es noch mal eine Stunde dauern, bis Lucy mit den Papieren aufkreuzt. Nur dass ich keine Lust habe, so lange zu warten. Wir gehen rein, suchen dein BlackBerry und nehmen das Ding und was sie sonst noch im Zimmer hat, mit.« Er blickte den stillen Flur entlang. »In der eidesstattlichen Erklärung habe ich bis auf die Küchenspüle fast alles aufgeführt: digitale Speichergeräte, digitale Medien, Festplatten, USB-Sticks, Dokumente, E-Mails und Telefonnummern. Nur auf die Gefahr hin, dass Carley den Inhalt deines
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