Scarpetta Factor
im Asservatenbeutel, verschloss ihn, zog die Handschuhe aus und warf sie in den Papierkorb.
»Wann wurde sie aus dem McLean entlassen?«, erkundigte sich Dr. Clark.
»Vergangenen Sonntagnachmittag.«
»Haben Sie sie vor ihrer Entlassung noch einmal befragt oder mit ihr gesprochen?«
»Zwei Tage zuvor, also am Freitag«, antwortete Benton.
»Und sie hat Ihnen bei dieser Gelegenheit kein Geschenk gemacht oder Ihnen eine Weihnachtskarte gegeben, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, es persönlich zu tun und sich auf diese Weise über Ihre Reaktion zu freuen?«
»Hat sie nicht. Sie hat über Kay geredet.«
»Ich verstehe.«
Natürlich tat er das. Er wusste genau, was Benton zu schaffen machte.
»Vielleicht hat Dodie sich das McLean ausgesucht, weil sie im Voraus wusste, dass der prominente Ehemann der berühmten Kay Scarpetta dort beschäftigt ist«, mutmaßte Dr. Clark. »Es könnte durchaus sein, dass sie einfach nur ein wenig Zeit mit Ihnen verbringen wollte.«
»Ich war nicht ihre erste Wahl.«
»Wer dann?«
»Ein anderer.«
»Jemand, den ich kenne?«, fragte Dr. Clark, als hätte er einen Verdacht.
»Der Name sagt Ihnen sicher etwas.«
»Haben Sie Zweifel, dass dieser andere Kollege wirklich ihre erste Wahl war, denn ihre Motive und ihre Wahrheitsliebe sind immerhin ziemlich dubios. Wollte sie unbedingt ins McLean?«
»Ja.«
»Das ist wichtig, denn der Kollege, den sie sich zuerst ausgesucht hat, könnte gar nicht die Erlaubnis gehabt haben, sie zu behandeln, weil er nicht dort angestellt ist.«
»Genau das ist auch geschehen«, bestätigte Benton. »Hat sie Geld?«
»Angeblich von all den Ehemännern, die sie verschlissen hat. Sie war im Pavillon untergebracht, der, wie Sie wissen, nur für Privatpatienten bestimmt ist. Bezahlt hat sie, beziehungsweise ihr Anwalt, in bar.«
»Wie viel kostet das inzwischen? Dreitausend pro Tag?« »So ungefähr.«
»Also hat sie über neunzigtausend Dollar in bar bezahlt?« »Eine Anzahlung bei der Aufnahme, den Rest bei der Entlassung. Das Geld wurde per Bankanweisung von ihrem Anwalt in Detroit geschickt«, erklärte Benton.
»Wohnt sie in Detroit?«
»Nein.«
»Aber sie hat dort einen Anwalt.«
»Offenbar«, erwiderte Benton.
»Was hat sie in Detroit gemacht, außer sich verhaften zu lassen?«
»Angeblich Urlaub. Übernachtet hat sie im Grand Palais«, antwortete Benton. »Sie hat ihre magischen Kräfte an den einarmigen Banditen und am Roulettetisch getestet.«
»Spielt sie häufig?«
»Wenn Sie möchten, verkauft sie Ihnen sicher ein paar Glücksbringer.«
»Anscheinend hassen Sie die Frau wie die Pest«, stellte Dr. Clark fest und musterte Benton weiter eingehend.
»Ich kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass meine Person bei ihrer Wahl eine Rolle gespielt hat. Oder Kay«, entgegnete Benton.
»Ich merke Ihnen an, dass Ihnen die Sache nicht ganz geheuer ist«, sagte Dr. Clark, nahm die Brille ab und polierte sie mit seiner grauen Seidenkrawatte. »Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass Sie aufgrund jüngerer Ereignisse besorgt und übertrieben argwöhnisch gegenüber ihren Mitmenschen sind?«
»Spielen Sie auf ein bestimmtes Vorkommnis an?«
»Warum verraten Sie es mir nicht?«, erkundigte sich Dr. Clark.
»Ich bin nicht paranoid.«
»Das behaupten alle Paranoiker.«
»Ich werde das mal als typisches Beispiel für Ihren trockenen Humor verstehen«, parierte Benton.
»Wie fühlen Sie sich? Abgesehen von dieser Angelegenheit.
In letzter Zeit ging es ziemlich rund«, erwiderte Dr. Clark. »Sie hatten im vergangenen Monat eine Menge um die Ohren.« »Das ist bei mir Normalzustand.«
»Kay ist im Fernsehen aufgetreten und in der Öffentlichkeit bekannt.« Dr. Clark setzte die Brille wieder auf. »Das Gleiche gilt für Warner Agee.«
Benton hatte schon seit einer Weile damit gerechnet, dass Dr. Clark Agee aufs Tapet bringen würde. Vermutlich war er ihm deshalb ausgewichen. Nicht vermutlich. Tatsächlich. Bis heute.
»Ich habe mir gedacht, dass es Sie sicher nicht unberührt gelassen hat, Warner in den Nachrichten zu sehen. Immerhin hat der Mann Ihre Karriere beim FBI auf dem Gewissen und außerdem versucht, Ihr Leben zu ruinieren, weil er sein wollte wie Sie«, merkte Dr. Clark an. »Jetzt ist er öffentlich in Ihre Rolle geschlüpft, um es einmal metaphorisch auszudrücken. Er spielt den Forensikexperten und den Profiler vom FBI, seine letzte Chance, im Rampenlicht zu stehen.«
»Er wäre nicht der erste Mensch, der
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