Scarpetta Factor
Copertino, die nachgewiesenermaßen über die Fähigkeit verfügt hatten, durch die Luft zu schweben. Agee hatte Carley alles über Franz Anton Mesmer erzählt, ihr die heiligenden Kräfte des animalischen Magnetismus erklärt und mit ihr Braid und Bernheim und ihre Theorien der Hypnose und des nervösen Schlafes erörtert.
Es war nur natürlich, dass Carley als geborene Journalistin sich weniger für das Übernatürliche als für den Bücherschrank mit Fotoalben interessierte, die alle in florentinisches Leder gebunden waren. Für die Verbrechergalerie von Rupes sogenannten Freunden, wie Agee die beliebteste Abteilung der Bibliothek nannte. Agee und Carley hatten viele ungestörte Stunden im zweiten Stock des riesigen Hauses verbracht, nebeneinandersitzend und amüsiert die in mehreren Jahrzehnten zusammengetragenen Fotos studiert und einander auf die Leute hingewiesen, die sie kannten.
»Wirklich erstaunlich, was für Freunde man sich mit Geld kaufen kann. Und er glaubt tatsächlich, sie meinen es ernst. Das würde mich traurig machen, wenn ich es schaffen würde, Mitleid für einen gottverdammten Multimilliardär zu entwickeln«, sagte Agee zu einer Frau, die niemandem traute, weil sie genauso unmoralisch war und ihre Mitmenschen ausnutzte wie alle, denen Rupe Starr je begegnet war und noch begegnen würde.
Nur dass Carley nicht an Rupe verdiente. Sie war, ebenso wie Agee, nur als Attraktion für die anderen Gäste hier. Man bekam in Rupes Privatclub nicht einmal ein Interview, ohne zuvor mindestens eine Million Dollar hinzublättern. Aber man wurde eingeladen, wenn man ihm sympathisch war oder er einen auf die eine oder andere Weise amüsant fand. Er bat einen zum Abendessen und zu Partys, damit man seine wirklich wichtigen Gäste unterhielt. Die, die Geld zu investieren hatten. Schauspieler, Profisportler und erfolgreiche Banker von der Wall Street strömten in die Villa in der Park Avenue und wurden für das Privileg, Rupe noch reicher machen zu dürfen, Prominenten vorgestellt, deren Qualitäten sich nicht in Dollar und Cent berechnen ließen – Politiker, Nachrichtensprecher, Zeitungskolumnisten, Forensikexperten, Anwälte, jeder x-Beliebige also, der es in die Schlagzeilen geschafft oder sonst eine gute Geschichte auf Lager hatte und die Person interessieren würde, die Rupe beeindrucken wollte. Deshalb zog er Erkundigungen über seine potenziellen Klienten ein, um ihre Steckenpferde in Erfahrung zu bringen, und warb dann das Personal an. Rupe brauchte den Betreffenden nicht einmal persönlich zu kennen, um ihn auf seine B-Liste zu setzen. Man wurde einfach per Brief oder Telefonanruf herbeizitiert: Rupert Starr gibt sich die Ehre.
»Es ist, als würde man Elefanten Erdnüsse hinwerfen«, hatte sich Agee an jenem unvergesslichen Abend bei Carley beschwert. »Wir sind die Erdnüsse, und die anderen sind die Elefanten. So viel Einfluss wie sie werden wir niemals genießen, und wenn wir so alt werden wie ein Elefant. Und das Ungerechteste daran ist, dass einige dieser Elefanten sogar noch zu jung sind, um im Zirkus aufzutreten. Schauen Sie sich die da an.« Er deutete mit dem Finger auf ein auffällig hübsches Mädchen, das, den Arm um Rupe gelegt, keck in die Kamera blickte. 1996 lautete die Bildunterschrift.
»Sicher eine junge Schauspielerin.« Carley überlegte, wer sie wohl sein mochte.
»Raten Sie noch einmal.«
»Also, wer ist es?«, fragte Carley. »Sie ist eine aparte Schönheit, fast wie ein sehr hübscher Junge. Vielleicht ist es ja ein Junge. Nein, ich glaube, ich erkenne einen Busen. Ja.« Als sie Agees Hand wegschob, um umblättern zu können, schreckte er wegen der Berührung leicht zusammen. »Hier ist sie noch einmal. Eindeutig kein Junge. O Mann! Wirklich eine Klassefrau, wenn man darüber hinwegsieht, dass sie angezogen wie Rambo und außerdem ungeschminkt ist. Sie hat eine tolle Figur. Sehr durchtrainiert. Ich komme einfach nicht darauf, in welchem Film sie mitgespielt haben könnte.«
»In gar keinem. Sie werden es nie erraten.« Er ließ seine Hand liegen, in der Hoffnung, dass sie sie noch einmal berühren würde. »Ein kleiner Hinweis. FBI.«
»Dann muss sie etwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben, wenn sie in Starrs Porträtsammlung abgebildet ist.« Als ob Rupe Menschen gesammelt hätte wie teure Oldtimer. »Eindeutig auf der falschen Seite des Gesetzes. Eine andere Verbindung zum FBI kommt nicht in Frage, falls sie wirklich so stinkreich ist. Oder sie ist eine
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