Scarred Heart (German Edition)
bewusst, dass er Marius nie gesehen hatte, wenn er bei Marek zu Besuch war. Er hatte gewusst, dass sein Kumpel einen Bruder hatte, mehr aber auch nicht.
Warum war ihm das nicht früher aufgefallen? Doch jetzt noch darüber nachzudenken war müßig. Die Vergangenheit konnte er nicht ändern. Seufzend drehte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Er schwor sich, dem Kleinen in Zukunft zur Seite zu stehen, egal wie er aussah. Denn dass er ausgegrenzt wurde, hatte niemand verdient.
Der Besuch im Club war ein Wendepunkt in Rafaels Leben. Er wusste es nur noch nicht.
3
Spät am nächsten Vormittag öffnete Marius ächzend die Augen. Er fühlte sich völlig zerschlagen. Er rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Im Mund hatte er einen ekligen Geschmack, als wäre ein totes Tier am verwesen. Der pelzige Belag auf der Zunge war auch nicht angenehm.
Was zur Hölle war passiert? Er schlug die Bettdecke zurück und schob die Beine über die Bettkante. Nur mühsam kam er zum Sitzen. Seine Glieder fühlten sich wie Wackelpudding an, sein Kopf war wie in Watte gepackt. So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Und er hasste diesen Zustand.
Sein Blick fiel auf den Blister mit den Tabletten auf dem Nachttischchen. Schlagartig kam die Erinnerung zurück. Der Club. Die Sprüche. Sein Zusammenbruch.
Marius hatte nur noch verschwommene Erinnerungen, nachdem sie die Bar passiert hatten. Sein Bruder, der ihn trug, ihm über den Kopf streichelte. Der Rest war in gnädigem Nebel versunken.
Das Zittern kehrte zurück, das Leere Gefühl in ihm wurde wieder stärker und verschlang ihn. Ließ nichts als Leere zurück.
„Scheiße! Ari ! Hörst du mich? Ari! Sag was!“ Eine Hand packte Marius an der Schulter, rüttelte ihn sanft. Eine zweite Hand wurde an die andere Schulter gelegt. Er wurde sanft, aber bestimmt niedergedrückt. Kalt, es war so kalt. Ein nervtötendes Klappern drang in Marius Bewusstsein. Etwas großes, Warmes drängte sich an seinen Rücken.
Marek ! dachte Marius. Sein Bruder. Erleichtert schloss er die Augen, drückte sich enger an den Bruder. Ließ sich in den Arm nehmen, trösten und halten.
Das Klappern wurde weniger. Erstaunt erkannte Marius, dass das Klappern von ihm selbst kam. Seine Zähne waren am Knirschen, schlugen aufeinander. Die Kiefer taten ihm weh.
„Kann ich was tun?“ , eine andere, männliche Stimme durchdrang das Chaos in Marius Kopf.
„Ja“, brummte es an seinem Rücken, „mach Kaffee und Tee. Stell Zucker bereit. Das wird er nachher brauchen.“
Schritte entfernten sich, wurden leiser. Danach herrschte Stille. Langsam durchdrang die Wärme die eisige Leere in Marius.
Erleichtert bemerkte Marek, wie sich sein Bruder nach und nach entspannte, sich in seine Arme kuschelte. Aufatmend schlang er seine Arme noch fester um ihn.
Er war schon seit Stunden wach, seine Sorge um den Bruder hatte ihm keine gute Nacht beschert. Er war früh aufgestanden, hatte den Frühstückstisch gedeckt, Kaffee gemacht. Sich geduscht. Er hatte regelmäßig zu seinem Bruder ins Zimmer geschaut und die Tür auch nur angelehnt gelassen, um ihn im Zweifelsfall hören zu können.
Rafael hatte sich irgendwann zu ihm gesellt, hatte auch Brötchen besorgt , damit Marek in der Nähe von Marius bleiben konnte.
Als Marek ins Bad wollte, hatte er das Schluchzen gehört. Er war in das Zimmer seines Bruders gestürzt und hatte ihn auf der Bettkante sitzend vorgefunden, die Arme um sich geschlungen. Er wiegte sich vor und zurück, Tränen liefen ihm übers Gesicht und er war nicht ansprechbar gewesen.
Nun lagen sie hier, und Marek machte sich bittere Vorwürfe. Er hätte es besser wissen müssen. Doch der Schaden war jetzt da, und nun musste er versuchen, die Scherben wieder aufzuheben.
Marius war inzwischen verstummt, seine Atmung ruhig. Vorsichtig beugte sich Marek über ihn, guckte ihm ins Gesicht.
Sein Bruder drehte den Kopf. Dann lächelte er. „Ich werd das wohl nie packen. Es tut mir leid, dass ich euch den Abend ruiniert habe!“ , sagte er und drehte sich herum, sodass er nun mit dem Gesicht an Mareks Brust lag.
Der streichelte jetzt den Rücken seines Bruders, brummte: „Hast du nicht. Es tut mir leid, ich hätte dich nicht zwingen dürfen!“ , und drückte den Kleinen fest an die Brust.
Die Krise war wohl fürs erste überstanden.
„Mar, was macht Rafael hier?“, nuschelte Marius an der Brust. Marek seufzte, antwortete: „Er hat sich Sorgen um dich gemacht und ist über
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