Schachfigur im Zeitspiel
»Ja«, sagte er. »Gehen wir.«
10
Zu dritt standen sie beieinander und sahen gespannt zu, wie das automatische Getriebe den Quader nach vorn bewegte, auf sie zu. Unmittelbar vor ihnen kam er zum Stillstand.
Der Raum war ein Meer von Lichtern. Im grellen Glanz sah Parsons, wie der Quader nach und nach zurückkippte, bis er zur Ruhe kam. In seinen Tiefen schwebte ruhig die schlaffe Gestalt, die Augen geschlossen, der Körper entspannt. Der tote Gott, zwischen zwei Welten in der Schwebe, darauf wartend zurückzukehren …
Und im Raum sein Volk.
Der Raum war vollgestopft. Menschen, die bis jetzt im Schatten geblieben waren, traten langsam vor. Er hielt inne, weil er den Anblick dieses ersten Erscheinens in seiner vollen Intensität in sich aufnehmen wollte. Dies war die tatsächliche Kraft, die das Landgut in Betrieb hielt.
War es nur Einbildung, oder ähnelten sie einander? Natürlich hatten alle Angehörigen dieser Gesellschaft einige ähnliche Merkmale, so dieselbe allgemein vorherrschende Schädelform und Haarstruktur. Und die Kleidung dieser Gruppe, die graue Robe mit dem Brust-Emblem des Wolfs-Clans, war völlig identisch.
Aber da war noch mehr. Der rötliche Farbton der Haut. Eine gewisse Schwere der Brauen. Die hohe Stirn. Geblähte Nasenlöcher. Als würden sie alle einer einzigen Familie angehören.
Er zählte vierzig Männer und sechzehn Frauen, und dann gab er es auf. Sie bewegten sich umher, murmelten miteinander. Nahmen Plätze ein, von denen sie ihn beobachten konnten, während er arbeitete. Sie wollten jede Bewegung sehen, die er machte.
Jetzt war der Quader von Technikern des Landguts eröffnet worden. Die Vereisungsflüssigkeit wurde gierig von Plastik-Saugtentakeln herausgeschlürft.
»Diese Leute sollten nicht hier sein«, sagte Parsons nervös. »Ich werde seinen Brustkorb öffnen und eine Pumpe einsetzen müssen. Die Gefahr der Infektion ist sehr groß.«
Die Männer und Frauen hörten ihn, doch keiner von ihnen rührte sich von der Stelle.
»Sie denken, sie haben ein Recht darauf, hier zu sein«, sagte Helmar.
»Aber Sie haben zugegeben, daß Sie nichts von Medizin verstehen, nichts von Hygiene …«
»Sie haben an dem Mädchen Icara in aller Öffentlichkeit gearbeitet«, sagte Helmar. »Und Sie haben zahlreiche sterilisierende Wirkstoffe in Ihrem Koffer – die zumindest konnten wir identifizieren.«
Parsons fluchte unterdrückt. Er wandte sich von Helmar ab und zog seine Plastik-Schutzhandschuhe über. Dann ordnete er seine Instrumente auf einem tragbaren Tablett an. Als der Rest der Vereisungsflüssigkeit von den Saugtentakeln aufgenommen worden war, schaltete Parsons ein Hochfrequenzfeld ein und legte an jede Seite des Quaders Spannung. Die Anschlußklemmen summten und glühten, als sich das Feld erwärmte. Jetzt befand sich der reglose Körper in einer Zone bakterienvernichtender Strahlung. Er konzentrierte das Feld kurz auf seine Instrumente und Handschuhe. Die zuschauenden Männer und Frauen beobachteten dies alles konzentriert, ohne den geringsten Ausdruck in den Gesichtern.
Ganz plötzlich war die Vereisung abgesaugt. Der Körper lag frei.
Parsons arbeitete zügig und routiniert. Es gab keinen spürbaren Zerfall. Der Körper wirkte vollkommen frisch. Er berührte das leblose Handgelenk. Es war kalt. Eine frostige Ausdünstung, die seinen Arm hinaufsickerte und ihn veranlaßte, die Hand schnell zurückzuziehen. Die absolute Kälte des Weltraums. Er schüttelte sich und dachte darüber nach, wie er vorgehen sollte.
»Er wird rasch warm werden«, preßte Helmar heraus. »Es handelt sich um eine Art von Kühlung, die Ihnen nicht bekannt ist. Die Molekularbewegung ist nicht reduziert, sondern in eine andere Phase gebracht worden.«
Der Körper war jetzt warm genug, daß man ihn berühren konnte. Ganz gleich, welche Veränderungen im Oszillationsrhythmus vorgenommen worden waren, die Moleküle kehrten bereits zu ihrer Normbewegung zurück.
Mit peinlicher Sorgfalt schloß Parsons eine mechanische Lunge an und aktivierte sie. Während die Lunge rhythmischen Druck auf die bewegungslose Brust ausübte, konzentrierte er sich auf das Herz. Er punktierte den Brustkorb, schloß die Dixon-Pumpe an das Gefäßsystem an und umging damit das stillgelegte Herz. Die Pumpe begann augenblicklich zu arbeiten. Blut floß. Atmung und Blutkreislauf waren in einem Körper wieder in Gang gesetzt, der vor fünfunddreißig Jahren gestorben war. Wenn es durch den Mangel an Sauerstoff und
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